Angriff der Wirbelschleppen

In Neuenfelde, dem Dorf der Airbusgegner, steht eine berühmte Kirchenorgel. Eine Pilgerfahrt

Aus Neuenfelde Daniel Wiese

Lang ist die Busfahrt von Hamburg nach Neuenfelde, in das berühmte Dorf mit der berühmten Kirche, dabei liegt Neuenfelde doch nur über die Elbe. Der Bus kurvt über hundert kleine Straßen, links und rechts verwitterte Backsteinbauten. Die letzte Haltestelle vor Neuenfelde ist beim Airbuswerk, das kilometerlange Werksglände liegt im Januarregen. Es ist niemand zu sehen, nur ein einzelner Fernseh-Übertragungswagen steht davor.

In den letzten Wochen und Monaten war es in den Schlagzeilen, das Dorf, das es fast geschafft hätte, den großen Airbuskonzern zu besiegen. Die Grunstücksbesitzer wollten ihr Land nicht verkaufen. Jetzt haben sie es doch getan, bis auf zwei. Einer davon ist die Kirchengemeinde St. Pankratius, deren Turm hinter dem Airbusgelände auftaucht. Der Bus hält irgendwo auf der Landstraße, einen Kilometer vom Dorf entfernt. Der Fußmarsch führt über Deiche, durch die Obstplantagen der Bauern, die ihr Land mehr lieben als die Flugzeugfabrik, aber das Geld lieben sie eben auch.

Die Kirchengemeinde wiederum liebt ihre Kirche. Auf ihrer Homepage ist von einer „Schädigung der Kirche mit ihrer beeindruckenden Barockausstattung und der weltberühmten Arp-Schnitger-Orgel“ die Rede. Die Landebahn, die Airbus bauen will, hätte zur Folge, dass schwere Flugzeuge sehr dicht über der Kirche fliegen. Dabei, so die Kirchengemeinde, könnten „Wirbelschleppen“ auftreten, „die mit Orkanstärke (ca. 130 km/h) auftreffen, wenn das Flugzeug längst vorbei ist“, und das klingt wirklich nicht gut.

„Wir wollen keine Panik verbreiten, aber wir sind schon gespannt, wie sich das anhört, wenn die Flugzeuge kommen“, sagt Karl Berhardin Kropf, der Organist von St. Pankratius. Wir stehen auf der Orgelempore, hinter, über, unter uns von der weltberühmten Orgel umgeben, deren Seitenprospekte hoch empor ragen, bis unter die Kirchendecke, auf der dickliche, barocke Engelchen frohe Botschaften verkünden: „Alles was Odem hat, lobe den Herren“ oder: „Wer den Namen Gottes des Herrn anruft der soll selig werden“.

Von der Orgelempore kann man bis hinüber zum Altar sehen, über dem kleine Logen angebracht sind. Links die für den Probst, rechts die für den großen Orgelbauer Arp Schnitger, der seine letzten Jahre in Neuenfelde verbrachte und in der Kirche begraben liegt. Zu Lebzeiten konnte er durch die kleinen Butzenglasscheiben seiner Privatloge den Gottesdienst beobachten, immer mit Blick auf die schöne Orgel, die er gebaut hat.

„Was das Besondere an der Orgel ist, lässt sich nur schwer beschreiben“, sagt Organist Karl Berhardin Kropf. Man kann es nicht sagen, man muss es hören: den satten Klang der Flöten, die wunderbar ruhenden Trompeten, das Plenum, wenn man alle Register zieht, das laut ist, aber nie aufdringlich. Von barocken Orgeln heißt es oft, dass sie schreien. Schnitger-Orgeln schreien nicht. Sie singen.

Nur 30 Orgeln des Meisters sind überhaupt noch erhalten, die in Neuenfelde hat „einen hohen Schnitger-Anteil“, sagt der Organist. Denn natürlich sind über die Jahrhunderte Pfeifen ausgetauscht worden, man hat Umbauarbeiten vorgenommen. 1911 war die Orgel sogar kurz einmal davor, abgerissen zu werden, weil sie nicht mehr dem Geschmack der Zeit entsprach. Nur die knappen Kirchenkassen haben das damals verhindert.

In Neuenfelde sind die Tasten, die Mechanik und die meisten Register noch so, wie sie Schnitger geschaffen hat. Und das soll auch so bleiben. „Wenn die Kirche beschädigt wird, leidet auch die Orgel“, sagt Karl-Bernhardin Kropf. Schnitger hat die Orgel für diesen Raum gebaut, woanders würde sie nicht halb so gut klingen.

Nicht alle Bewohner von Neuenfelde denken so, manche sind zum Beispiel auch bei Airbus beschäftigt. Andererseits ist die Kirche und ihre Orgel keine Angelegenheit, die nur die Neuenfelder betrifft. Als bekannt wurde, dass Airbus seine Landebahn fast bis an die Kirche heranbauen will, ging ein Aufschrei durch die internationale Musikszene. Auf der eigens eingerichteten Orgelhomepage kann man die Prostetbriefe nachlesen.

Vielleicht ist der Konflikt wirklich unvermeidlich. Doch jeder, der sich mit der Kirche in Neuenfelde anlegt, sei gewarnt. Während nämlich oben an der Kirchendecke die Engelchen singen, sind in die Querbalken, direkt über den Köpfen der Gemeinde, düstere Sprüche eingraviert: „Wirst du der Stimme Gottes deines Herrnn nicht gehorchen“, steht da, „wirst du verflucht sein in der Stadt, verflucht auf dem Acker. Verflucht wirst du sein, wenn du eingehst, verflucht, wenn du ausgehst.“ Das sollten sich die Airbusleute merken.