berliner szenen Saufen und Widerstand

Volksbühnen-Leerstück

Einen Euro für eine Stunde lang nichts tun: Vor allem junge Leute sind am Donnerstagabend dazu bereit und gut eingedeckt mit Bier, Wein und Pizza in Pappschachteln in die Volksbühne gekommen. Jürgen Kuttner erklärt Sinn und Spielregeln des Abends: Um Hartz IV geht es und um die Frage, wie man jenseits von Montagsdemos dagegen protestieren kann. Im Theater. Aber: „Der aristotelisch-hollywoodeske Zugang, also das mit der Reinigung, funktioniert nicht.“ Statt dessen soll es „eher brechtmäßig“ zugehen. Deshalb also passiert auf der Bühne heute nichts. Das Lehrstück als Leerstück: So sinnlos wie die 1-Euro-Jobs sind, so sinnlos sollen die Leute eine Stunde lang herumsitzen und dafür am Ende ihren Lohn kassieren. Sagt Kuttner und verschwindet.

Nach fünf Minuten betreten die Ersten die leere Bühne. Eine junge Frau mit Che-Guevara-Shirt greift sich das Mikro und ruft enthusiastisch: „Wir haben ’ne Idee. Was macht ihr mit dem Geld?“ Gebrüll aus dem Saal: „Saufen!“ Sie, zögernd: „Ich hör ‚spenden‘?“ Der Saal: „SAUFEN!“. Sie geht. Der Nächste traut sich nach vorn: „Hey, ihr wollt doch saufen. Wie wär’ es, wenn wir im Spätkauf Bier kaufen?“ „Saufen ist kein Widerstand“, schallt es von denen zurück, die eben noch lautstark fürs Saufen eingetreten waren. Die Che-Guevara-Frau kommt wieder, eine Punkerin röhrt: „Du bist eklig.“ Ein Typ Mitte 40 mit Zopf und Lederjacke stürmt empört auf die Bühne und warnt: „Ihr seid alle Teil eines Experiments!“ Ein junger Mann fordert „neue Protestformen“. Und fügt verschwörerisch hinzu: „Ziviler Ungehorsam.“

Als die Stunde vorbei ist, tritt Kuttner wieder auf die Bühne: „So, das Publikum darf sich jetzt selbst bebeifallen.“ Der Applaus fällt eher dünn aus.

SEBASTIAN FRENZEL