„Berlin fordert Kurieren viel ab“

RADKURIERE Am Wochenende geht’s bei der Europameisterschaft in Tempelhof um die Ehre. Und um Ideen, wie der Kurier-Alltag sicherer werden kann, sagt Dirk Brauer

■ Der 45-Jährige arbeitet seit knapp 19 Jahren als Fahrradkurier in Berlin. Er war bereits 1993 bei der ersten WM in Berlin dabei.

INTERVIEW JOHANNES KOPP

taz: Herr Brauer, wozu tragen Fahrradkuriere eine eigene Europameisterschaft aus?

Dirk Brauer: Man will wissen, wer der Beste in der Branche ist. Der Kurier selbst weiß dann, wo er steht. Sich zu messen, das finde ich unheimlich schön.

Schielen Fahrradkuriere auch im Alltag auf ihre Kollegen?

Ständig. Wir vergleichen uns über die Schecks. Das heißt, wer fährt die meisten Aufträge. Wenn ich 20 Schecks am Tag habe, bin ich einer der Besten.

Aber einen direkten Vergleich gibt es selten.

In der Szene werden illegale Rennen ausgetragen, in Berlin vielleicht einmal im Monat. Da ballern dann 40 Radler im normalen Straßenverkehr die Kastanienallee herunter. Gegenüber der Polizei sagt natürlich keiner, dass das ein Rennen ist. Die fahren halt zu vierzigst ein bisschen schneller.

Hätte da ein gewöhnlicher Rennradfahrer eine Chance?

Es haben auch schon Fakengers gewonnen. So nennen wir diejenigen, die gar nicht im Kuriergeschäft tätig sind.

Machen auch bei der EM Fakengers mit?

Nein. Aber selbst wenn, würden sie niemals vorne dabei sein können, weil das Hauptrennen so kurierlastig organisiert ist.

Welche Qualitäten muss ein Kurier-Europameister haben?

Vor allem sollte er logistisch denken können. Wenn du eine Aufgabe mit acht verschiedenen Anlaufstationen hast, musst du sie miteinander sinnvoll kombinieren. Ein Anfänger fährt die Stationen alle einzeln ab. Kuriere, die anfangen, brauchen ein Vierteljahr, bis sie das einigermaßen gelernt haben.

Der Run auf das EM-Hauptrennen ist groß. Es haben sich bereits 800 Teilnehmer gemeldet.

Berlin hat als Veranstaltungsort auch ein besonderes Prestige. Hier hat bereits 1993 die erste Weltmeisterschaft stattgefunden. Wahrscheinlich kommen aber auch so viele, weil mit dem Flughafen Tempelhof ein sehr interessantes Gelände zur Verfügung steht.

Ein für alle noch unbefahrenes Terrain. Einen Heimvorteil für Berliner gibt es demnach nicht?

Nein. Aber gute Fahrer gibt es hier schon. Berlin fordert Fahrradkurieren sehr viel ab. Wir haben hier weltweit die weiteste Fläche abzudecken. In New York etwa fahren die nur downtown. Den Rest machen die Motorräder.

Bei so einem großen Starterfeld dürfte es auf dem Flughafenareal recht eng zugehen.

Das verteilt sich. Die Fahrer werden verschiedenen Qualifikationsgruppen zugeordnet.

Was haben Sie sich vorgenommen?

Ich fahre schon fast 20 Jahre und war auch bei der ersten WM in Berlin dabei. Meine Endgeschwindigkeit ist nicht mehr die beste. Aber ins Finale würde ich gerne kommen.

Es kommen auch die sogenannten Fixies zum Einsatz, die derzeit so in Mode und im Gespräch sind, weil sie keine Bremsen, keinen Freilauf und eine feste Übersetzung haben.

Diese Räder sollten auf der Straße nur von Profis genutzt werden. Weil man mit den Fixies aber auch rückwärts fahren kann, eignen sie sich bestens für die ebenfalls stattfindenden Geschicklichkeitswettbewerbe.

Sind Sie bei den Fixie-Ausscheidungen auch dabei?

Nein, ich organisiere für Samstag ein Rennen mit Lastenrädern, die Fahrradkuriere mittlerweile auch fahren, um größere Dinge zu transportieren.

Was müssen die Teilnehmer am Samstag transportieren?

■ Vom 29. Mai bis 1. Juni findet auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof die 14. Europameisterschaft der Fahrradkuriere statt. Etwa 800 Berufsradler messen sich in verschiedenen Disziplinen.

■ Die ersten Wettbewerbe, wie Fahrradpolo, das Lastenrennen oder „Wer macht die längste Bremsspur“, werden am Samstag ausgetragen. Am Sonntag und Montag müssen die Fahrer im prestigeträchtigsten Hauptrennen Sendungen in Empfang nehmen und weitertransportieren – wie im Kurieralltag eben.

■ Die Wettbewerbe beginnen am Samstag um 11 Uhr, am Sonntag und Montag um 10 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Autoreifen, komplett mit Felgen. Und Umzugskartons.

Was verbindet denn die Fahrradkuriere miteinander?

Mir fallt bei diesen Events immer eines auf: die allgemeine Langsamkeit. Abseits der Rennen macht man gar nichts. Man hängt nur rum und freut sich an der friedlichen multikulturellen Atmosphäre.

Fahrradkuriere sind also Gemütsmenschen?

Ja. Die relaxen und genießen, da sie sonst eh den ganzen Tag unterwegs sind.

Und worüber spricht man?

Man tauscht sich aus. Wie sind die Systeme in der einen oder anderen Stadt? Ist man angestellt oder selbstständig? Wie ist man versichert?

Das hört sich nach einem Gewerkschaftstreffen an.

Das kann man so sehen. Wir haben ja auch immer die gleichen Probleme. Wenn uns irgendetwas Krasses passiert, kriegen wir wochenlang kein Geld. Da versucht die Kurierschaft eine Absicherung für alles zu schaffen. Die EM ist auch eine Art Ideenbörse.