China wertet Umwelt und Atomkraft auf

Doppelstrategie sorgt für Applaus von allen Seiten. Peking stoppt 30 Großprojekte. Deutliche Stärkung der Umweltbehörde. Zugleich betont Regierungschef Wen Jiabao weiter den Ausbau der Atomenergie. Greenpeace China setzt auf Windkraft

AUS PEKING GEORG BLUME

Das gibt es selten: Atommanager und Greenpeace-Aktivisten, die zur gleichen Zeit die Energiepolitik eines Landes loben. In dieser Woche durfte sich die weltweite Atomlobby über den Besuch des chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao am AKW-Standort Daya Bay bei Hongkong freuen, der damit einen weiteren Ausbau der Atomindustrie in China signalisierte. Zur gleichen Zeit applaudierten Greenpeace-Mitarbeiter der Pekinger Regierung, die nach Wens Rückkehr aus Hongkong in einer Grundsatzentscheidung zugunsten des Umweltschutzes 30 Großprojekte aufkündigte, davon 26 im Energiebereich.

Vor allem Letzteres überrascht, denn bei den gestoppten Projekten geht es keineswegs um Kleinkaliber. Die geplanten 3 Wasser- und 19 Kohlekraftwerke, für die Peking jetzt ein Moratorium aussprach, hätten es zusammen auf eine Leistung von über 14.000 Megawatt gebracht, also etwa so viel wie 14 Atomkraftwerke. Grundsätzlicher Natur ist die Entscheidung aber auch deswegen, weil China im vergangenen Jahr von Stromausfällen geplagt war und der Energiebedarf schneller steigt als je zuvor. Trotzdem soll jetzt die Umwelt vorgehen. „Die Projekte wurden gestoppt, weil sie die von uns gesetzten Umweltfolge-Auflagen nicht erfüllten“, sagte Pekings Vize-Umweltminister Pan Yue. Ohne ökonomischen Hintergrund ist die Entscheidung dennoch nicht: Denn aufgrund des hohen Energiebedarfs fürchtet China Überinvestitionen. Angeblich wurden allein im letzten Jahr die von der Regierung geplanten Investionen für neue Kraftwerke um das Dreifache übertroffen.

Jetzt wagt sich die Regierung auch an ein politisch hochsensibles Projekt, für das bisher aller Rückhalt in Peking sicher schien: den Drei-Schluchten-Staudamm am Jangtse. Hier wird ein unterirdisches Kraftwerk – Investitionsvolumen 846 Millionen Dollar – gestoppt. Bei Gesamtkosten von über 25 Milliarden Dollar ist das ein eher kleiner Teil des Projekts, aber immerhin. Für Umweltschützer wichtiger ist indessen das vorläufige Aus für den auf 5 Milliarden Dollar veranschlagten Xiluodu-Damm am Oberlauf des Jangtse. Damit hat Peking das zweite Großstaudamm-Projekt innerhalb eines Jahres auf Eis gelegt, denn bereits im vergangenen Frühjahr setzte Premier Wen die ebenfalls mehrere Milliarden schwere Dammentwicklung am Nu-Fluss (weiter südlich als Salween bekannt) aus. Eine „logische Folge“ war deshalb der neuerliche Staudamm-Stopp für Lo Sze Ping, den Leiter des Greenpeace-Büros in Peking. „Greenpeace freut sich über eine so weitgehende Entscheidung“, so Lo. Damit werde Lokalregierungen und staatlichen Firmen, die bislang bedenkenlos jegliche Art von Energieprojekten gefördert hätten, „eine klare Botschaft“ erteilt: nämlich die „Ermächtigung des Umweltministeriums“, seine Richtlinien auch tatsächlich durchzusetzen. Genau hier lag bisher das Problem der Behörde: Sie wurde zwar international immer wieder für ihre fortschrittliche Gesetzgebung gelobt, konnte davon aber nicht viel umsetzen. „Wir werden niemals eine Durchwink-Behörde sein“, versprach nun Vizeminister Pan.

Pans neue Macht aber wird kaum Einfluss auf die AKW-Baupläne Chinas haben. Mindestens ein neues Kraftwerk pro Jahr soll demnächst gebaut werden. Allerdings schließt auch das nicht aus, dass China bis 2010 wie versprochen 10 Prozent seines Elektrizitätsbedarfs aus erneuerbaren Energien deckt. „Windenergie“, so Greenpeace-Mann Lo, „wird in China in einer Größenordnung genutzt werden, die die Welt noch nicht gesehen hat.“