„Kein Zurück zum Kalten Krieg“

Man darf den Konservativen abnehmen, dass sie ihre Ideale ernst nehmen, sagt Claus Leggewie

taz: Herr Leggewie, hat die Welt jetzt einen neuen Freund gewonnen, nämlich keinen Geringeren als George W. Bush?

Claus Leggewie: Kommt drauf an, welche konkreten Taten auf große Worte folgen werden. Bushs Antrittsrede steht ganz in der Tradition amerikanischer Außenpolitik und enthält wenig Elemente, die Woodrow Wilson, Franklin Roosevelt, Bush senior oder Bill Clinton in ihrer Zeit nicht auch gesagt haben könnten.

Bush hat in seiner Antrittsrede erklärt: „Alle, die in Tyrannei und Hoffnungslosigkeit leben, können wissen: Die Vereinigten Staaten werden eure Unterdrückung nicht vergessen oder euren Unterdrückern vergeben.“ Da müssten ja alle Menschenrechtsorganisationen applaudieren?

Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist eher besorgt über die Kluft zwischen dieser Deklaration und der Art, wie amerikanische Politik gerade in der ersten Amtszeit Bushs elementare Menschenrechte verletzt hat, auch in den USA selbst. Man kann also skeptisch sein oder das auch ironisieren, darf aber nicht vergessen, dass Amerika in langen Jahrzehnten tatsächlich ein Hoffnungsschimmer für viele Unterdrückte gewesen ist – für das deutsche Exil im Westen, für kolonisierte Völker, im sowjetischen Imperium, für Liberale und Demokraten in autoritär regierten Entwicklungsländern.

Warum gibt es Unbehagen?

Weil die USA oft gegen ihre Prinzipien verstoßen und sich stets auch eng mit solchen Regimen wie Saudi-Arabien und Pakistan verbündet haben – aus wirtschaftlichen oder geostrategischen Gründen –, die Tyrannen und Ausbeuter der nach Freiheit strebenden Menschen waren. Ganz besonders gilt das für die arabisch-islamische Welt, und deswegen herrscht dort auch die größte Skepsis gegenüber den Freiheitsversprechen. Aber wiederum darf man nicht vergessen, dass viele im Iran Befreiung eher von den Amerikanern als von den Europäern erwarten. Europa hat seine demokratische Mission unterbewertet und sich ebenso durch „pragmatische“ Politik kompromittiert. Wir müssten eigentlich in einen Wettbewerb mit Amerika eintreten, wie auf dem besten Wege Demokratie, Freiheit und Partizipation auszubreiten sind.

Gibt die Rede Bushs all jenen, die Interventionen aus Menschenrechtsgründen befürworten, neue Impulse?

Die aufgezeigte Diskrepanz könnte eher dazu führen, dass humanitäre Intervention noch misstrauischer angesehen wird. Aber es gibt kein Zurück zum Kalten Krieg, als es ein Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten autoritär regierter Staaten gab. Wenn Europa so genau weiß, was an der amerikanischen Politik falsch ist, müsste es auch politische Alternativen bieten.

Muss die Welt nun jedes Jahr mit einem neuen Krieg rechnen?

Sicher mit Kriegsdrohungen, aber auch mit neuen schlimmen Terrorattacken.

Ist der Verweis auf die Demokratisierung der Welt nur der moralische Deckmantel für genuin nationale Interessen der USA?

Man darf den Neokonservativen abnehmen, dass sie das Demokratie-Ideal ernst nehmen und es zum genuin nationalen Interesse der USA erklären, Terror auch durch Demokratisierung zu bekämpfen. Aber es gibt auch eine Tendenz, dass die imperiale Republik sich in einen klassischen Nationalstaat verwandelt. „America First“ ist stets die Devise aller amerikanischen Politik gewesen, die Nuancen lagen in der Realisierung. INTERVIEW: THILO KNOTT