Der Zorn ist mit ihm

Piotr Trochowskis Hamburg-Comeback dauerte nur zwölf Minuten – mit ihm ging auch der Optimismus des HSV

Michael Ballack war ein böser Prophet. Kurz bevor es sich der Bayern-Kapitän auf den Rängen im Münchener Olympiastadion bequem machte, beschied er im Interview seinem einstigen Mitspieler, er bekomme nun „beim HSV die Chance, sich durchzusetzen“, schließlich habe „schon manches Talent sein Glück erst mal woanders“ gefunden.

Bislang allerdings hat Piotr Trochowski vom Glück noch nichts gefunden. Gerade drei Wochen war es her, dass der 20-Jährige von der Isar zurück nach Hamburg gewechselt war, schon stand sein persönliches Derby an. Der HSV verlor mit 0:3, der Neuzugang konnte die Tore von Pizarro (21.), Schweinsteiger (48.), Makaay (55.) nicht verhindern – nach nur zwölf Minuten humpelte Trochowski nach einem rüden Foul von Frings zur Seitenlinie.

Die nächsten Wochen wird der HSV auf sein Talent verzichten müssen – und damit auch auf einen gehörigen Teil der Aufbruchstimmung, die die mit einer Million Euro vergleichsweise günstige Ankunft des verlorenen Sohnes verbreitet hatte. Denn der Jungspund mit Potenzial zum elften Beatle kennt Alster und Elbe auswendig. Seine Familie mit Fußball-Genen (die älteren Brüder Arkadiusz und Slawomir kicken für Altona 93 und den VfL 93) kam aus Polen nach Hamburg-Billstedt, als Piotr fünf Jahre alt war. „Billstedt, Hamm und Horn / schuf Gott in seinem Zorn“, heißt es gerne, wenn in Hamburg über die Stadtteile im Osten gesprochen wird, die im Krieg nahezu vollständig zerstört wurden und heute als soziale Brennpunkte gelten.

Feuerrot war der Untergrund gewesen, auf dem Trochowski seinen bis Freitag letzten Auftritt für Hamburger Farben bestritten hatte. Am 30. Juni 1999 gewann er mit dem FC St. Pauli den Verbandspokal für die ältere C-Jugend. Auf einem staubigen Grandplatz wurde der Eimsbütteler TV 4:2 bezwungen. Am Tag darauf zog Trochowski im Jugendinternat des FC Bayern ein; auch ein Symbol für den Niedergang der St. Paulianischen Nachwuchsarbeit. Von fünf U-15-Auswahlspielern blieb schließlich nur einer.

Trochowski zog aus nach München, spielte 2001 eine überragende Jugend- EM. Das Turnier brachte Trochowski von den Notizbüchern von Scouts und Agenten erstmals in die größeren Schlagzeilen. Fünfeinhalb Bayern-Jahre zwischen Jugendinternat, Nachwuchsteam und 13 Kurzeinsätzen in der Bundesliga – für den Azubi waren sie „meine schönste Zeit“, in der er „erwachsen geworden“ sei. Doch der Durchbruch zum Bundesliga-Stammspieler – und vielleicht noch in den WM-Kader 2006 – soll nun beim HSV gelingen.

Denn vollkommen wussten die Bayern das Talent nicht einzuschätzen. Vor seinen ersten Profi-Spielen hatte man ihm einen Fragebogen in die Hand gedrückt, um der Anhängerschaft biografische Daten und Lieblings-Pizzas zu präsentieren. Als es zur Rubrik „bisherige Vereine“ kam, wurde aus Billstedt-Horn, dem kleinen Stammverein des 20-Jährigen, „Billstedt-Moru“ – ein Fantasiegebilde, das kein Gott im Zorn je erschuf.

In großen Momenten spielt Trochowski genauso fantasievoll, nur weniger verschlungen. Dass dies in den nächsten Bundesliga-Wochen nicht geschehen wird, bietet Anlass zum Zorn.

Folke Havekost