Nerven bewahrt

Mit einem ausgepfiffenen, aber makellosen Keeper Timo Hildebrand gewinnt Stuttgart 3:2 in Mainz

MAINZ taz ■ Er war nicht zufrieden. Mit dem Trainingslager. Der Mainzer Trainer Jürgen Klopp monierte vor allem die eigenwillige Kost: „Einmal gab es einen Rinderbraten, dessen Speckmantel breiter war als der von Ottfried Fischer.“ Trotz der 2:3-Niederlage gegen den VfB Stuttgart zeigte sich Klopp hingegen vom verpatzten Rückrundenstart weit weniger verstimmt. Man habe gesehen, dass sein Team auf einem guten Weg sei, sagte er. Vielleicht hätte der FSV sich aber doch um eine Leistungssportlern adäquatere Verpflegung kümmern sollen – nach der Pause wirkte der VfB Stuttgart jedenfalls deutlich agiler, spritziger und einfach schneller. Die Gäste aus Stuttgart hatten noch etwas zuzusetzen, die Mainzer nicht.

In einem munteren Spiel auf ansprechendem technischen Niveau ging der FSV mit seiner ersten Torchance durch Fabian Gerber in Führung. Natürlich wurde gleich in dieser 13. Minute kräftig spekuliert, ob der Torhüter den Ball pariert hätte, wenn er etwas weniger Ablenkung in der jüngsten Vergangenheit zu verkraften gehabt hätte. Vorige Woche ließ der VfB die wochenlange Hängepartie „Vertragsverlängerung Timo Hildebrand“ platzen, nachdem der Keeper auch beim nachgebesserten Millionenangebot nicht so recht anbeißen wollte. Auf seiner Homepage und bei sämtlichen Anfragen bittet der Blonde auch weiterhin um Geduld, bis er sich dazu erklären wolle.

Im nahe gelegenen Worms brach Hildebrand einst von der ehemals ruhmreichen Wormatia in die große Fußballwelt auf, ehe er nun am Samstag von Beginn an von den mitgereisten VfB-Fans ausgepfiffen wurde. Beim Gegentor aus kurzer Distanz konnte der 25-Jährige jedoch nichts halten, und auch sonst wirkte er alles andere als verunsichert. „Er hat eine ausgezeichnete Leistung gebracht, er war sehr konzentriert“, lobte VfB-Coach Matthias Sammer den Torhüter. Vor dem ersten Heimspiel nach der Bekanntgabe von Hildebrands Abgang im Sommer am Samstag gegen den 1. FC Nürnberg startete der Trainer nun schon einmal seine öffentliche Kampagne: „Jeder Pfiff gegen Timo ist auch ein Pfiff gegen die Mannschaft. Er hat nichts Schlimmes getan, er kann für uns in dieser Saison noch sehr wichtig werden.“

Nach dem Seitenwechsel waren die hartnäckig pfeifenden Moralisten unter den VfB-Anhängern dann ohnehin abgelenkt. Das Geschehen spielte sich mehrheitlich in ihrem Sinne auf der anderen Seite ab. „Ich müsste eigentlich mal nachschauen, ob dem Kerl inzwischen Kiemen gewachsen sind“, hatte Klopp noch über seinen Ersatz-Keeper Christian Wetklo geunkt, der beim einseitigen Essensangebot im Trainingslager nur Tunfisch zu sich nahm. Tatsächlich hätten die Mainzer solche körperlichen Dispositionen gut gebrauchen können, kamen sie doch nun arg ins Schwimmen.

Beim Ausgleich hatten die Schwaben noch eine gehörige Portion Glück, als FSV-Torhüter Dimo Wache das Leder nach einem Eckball von Aliaksandr Hleb selbst ins Netz fummelte. „Ich habe den Ball irgendwie in den Magen bekommen und konnte nicht mehr reagieren“, meinte Wache und ärgerte sich: „Das 1:1 war der Knackpunkt.“ Sein Trainer versuchte den Lapsus schnell abzuhaken: „So ein Tor bekommen wir in 100 Jahren nicht mehr“. Klopp hatte vielmehr Hleb als den spielentscheidenden Unterschied ausgemacht. Tatsächlich hatte der Weißrusse den Eckball zum 1:1 getreten, das 2:1 nach Kuranyi-Vorarbeit selbst erzielt und schließlich mit einem herrlichen Dribbling Cacau zum 3:1 aufgelegt. Doch insgesamt schleppte Hleb trotz dieser Szenen auch im neuen Jahr sein altes Manko mit sich herum: Zum Weltklasse-Kicker fehlt noch die Antizipation. Trotz seiner überragenden Fähigkeiten trifft er oft die falschen Entscheidungen – dribbelt, wenn er schießen müsste, und passt, wenn er dribbeln müsste.

„Nach einem 0:1 hier in Mainz noch zu gewinnen, schaffen nicht viele“, meinte Christian Tiffert zufrieden. Tatsächlich hat der VfB gewonnen, weil er hinten fast nichts zugelassen hat und vorne den Tick besser im Kombinationswirbel war. Oder vielleicht doch, weil sich der FSV Mainz über den Winter nur semiprofessionell ernährt hat.

KLAUS TEICHMANN