Eine Halbzeit verschwindet

Nach vielen verpassten Gelegenheiten, die eine vom passiv-aktiven Ailton vollendete 1:2-Niederlage bei Schalke 04 heraufbeschworen, verabschiedet sich Werder Bremen von der Titelverteidigung

AUS GELSENKIRCHENHOLGER PAULER

„Von der Meisterschaft brauchen wir nicht mehr zu reden“, sagte Bremens Manager Klaus Allofs nach dem Spiel. Neun Punkte Rückstand auf die Spitze seien einfach zu viel. Nach dem 1:2 in der Arena AufSchalke hat sich Werder Bremen anscheinend von der Verteidigung des Titels verabschiedet. Zumindest offiziell, obwohl von den Aktiven niemand so richtig dazu Stellung nehmen wollte. „In der letzten Saison hatten wir mal elf Punkte Vorsprung, gegen Ende wurden es immer weniger“, hofft zumindest Ivan Klasnic auf die Schwäche der Konkurrenz.

Ein anderer wusste schon zur Halbzeit, dass es für die Bremer ganz schwer werden würde – im Spiel und in der Meisterschaft: Alttrainer Otto Rehhagel monierte im Interview mit dem Bezahl-Sender Premiere vor allem die Bremer Chancenauswertung. „Das wird sich rächen“, unkte er und behielt Recht. Klasnic, Borowski und noch einmal Klasnic ließen in den letzten sieben Minuten vor der Pause ihre Großchancen ungenutzt. „Wir wussten, dass es bei einem 0:0 zur Halbzeit schwer wird“, sagte Valerién Ismaël, und sein Trainer Thomas Schaaf rief kryptisch hinterher: „Uns hat in der zweiten Halbzeit die erste gefehlt.“

Irgendwas fehlte auf jeden Fall: Eine Halbzeit oder ein Tor – mindestens. Ivan Klasnic trauerte vor allem seinen beiden Chancen nach. „Ein Punkt wäre jedenfalls drin gewesen“, sagte der Stürmer, „dafür haben wir aber ein Tor zu wenig erzielt.“ Schuldgefühle? „Vielleicht“, so Klasnic. Aber auch ein Unentschieden hätte die Bremer punktemäßig kaum nach vorne gebracht. Letztlich blieb die Erkenntnis, dass man zumindest spielerisch „gut in die Saison gestartet“ sei, wie Thomas Schaaf trotzig feststellte.

Für den optisch guten Start verantwortlich war vor allem das Bremer Mittelfeld, das in der ersten Halbzeit das Spiel dominierte. Johan Micoud und der Demnächst-Schalker Fabian Ernst legten ihren handgreiflichen Streit zumindest für 90 Minuten bei. „Die Sache ist ausgeräumt“, sagte Thomas Schaaf nach dem Spiel. Micoud und Ernst suchten und fanden sich auf dem Spielfeld. So weit, so okay. Dass Micoud bei beiden Gegentoren nicht unbeteiligt war, spielte in der Analyse keine Rolle. Die Zweckgemeinschaft sollte halten. Und im Schatten des innermannschaftlichen Duells deutete Nationalspieler Tim Borowski an, dass vielleicht sogar er der kommende Mann im Bremer Mittelfeld sein könnte. Unter der Woche hatte er seinen Vertrag bis zum Jahr 2008 verlängert. In der ersten Halbzeit des Spiels lief ein Großteil der Aktionen über ihn. Seine Großchance vergab Borowski allerdings auch.

Nach der Pause konnten die Schalker laut Trainer Ralf Rangnick „den Spieß umdrehen“. Vorentscheidend die 61. Spielminute. Der Schalker Levan Kobiaschwili drang in den Bremer Strafraum ein, wickelte sich um das Bein seines Gegenspielers Valerién Ismaël und fiel – Schiedsrichter Knut Kircher ließ sich davon nicht beeindrucken. Kein Foul, kein Pfiff, kein Strafstoß, lautete seine Analyse. Es blieb beim 1:1. Doch die Stimmung kippte. Die Geräuschkulisse näherte sich tinnitusfördernden Zuständen, Gegenstände flogen auf das Spielfeld, und die Schalker Spieler drehten ihre Augen auf Weiß. Den Bremern wurde schnell klar: es könnte verdammt eng werden. Sechs Minuten später wurde die Befürchtung Realität. Kobiaschwili schickte einen Steilpass auf den im Abseits stehenden Ailton, dieser entschloss sich nach kurzem Zögern zur Passivität und überließ dem herannahenden Kollegen Gerald Asamoah den Ball. Nach 30 Metern passte Asamoah den Ball quer zu Ailton. Dieser, jetzt wieder aktiv, bedankte sich mit dem Treffer zum 2:1-Endstand. Die Fahne des Linienrichters blieb während der gesamten Aktion unten. Zu Recht?

Beide Trainer waren sich in der Beurteilung einig. „Weg mit dem Schwachsinn“, ließ Thomas Schaaf wenig Gutes an der so genannten „passiven Abseitsregel“. Seit über drei Jahren kämpfe er gegen diese Regel an – vergebens. Sein Gegenüber, Ralf Rangnick, hat sogar noch mehr Erfahrung im Kampf gegen die Regel zu bieten. „Vor fünf Jahren habe ich schon gesagt, dass diese Regel zu viel Interpretationsspielraum lässt.“ Schieds- und Linienrichter hätten es so schon schwer genug. „Wir hätten uns nicht beschweren können, wenn die Fahne hoch gegangen wäre“, so Rangnick.

Mit dem Sieg im Rücken fiel ihm diese Erkenntnis besonders leicht. Immerhin konnten die Schalker mit Spitzenreiter Bayern gleichziehen. Und die Meisterschaft? Kein Dementi – zumindest nicht von Schalker Seite.

Schalke 04: Rost - Altintop, Bordon, Krstajic, Pander - Poulsen, Kobiaschwili - Lincoln - Asamoah, Sand, AiltonWerder Bremen: Reinke - Davala (76. Valdez), Ismaël, Fahrenhorst, Schulz - Borowski (81. Nery), Ernst, Jensen - Micoud - Klose, KlasnicZuschauer: 61.524; Tore: 1:0 Asamoah (48.), 1:1 Ismaël (51./Foulelfmeter), 2:1 Ailton (67.)