Dorfbegräbnis von Welt

Die Beerdigung des ermordeten Rudolph Moshammer geriet nicht zum Spektakel. Die Prominenz hielt sich fern, aber 15.000 Menschen gaben dem exzentrischen Selbstdarsteller das letzte Geleit

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

Das Volk ist gekommen, und das Volk lässt sich nun nicht mehr vertreiben. Wenige Meter vom Mausoleum entfernt, in das wenige Minuten später der schwere Mahagonisarg hinabgelassen wird, hat sich eine Gruppe älterer Damen und Herren in Windjacken und abgetragenen Mänteln aus Kunstpelz einen Platz in vorderster Reihe gesichert, gleich neben den mit Klappleitern und Teleobjektiven bewehrten Fotografen. Da eilt ein gut gegelter Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes herbei und herrscht die Gruppe an: „Hier nur Presse! Wer nicht zur Presse gehört, muss hier weg.“ Da dreht sich eine der Damen um und schnauzt kurz zurück: „Mir stehn seit Stunden hier, mir gehn hier nimma weg.“ Ihre Mitstreiter rücken zusammen, die Fotografen lachen, der Aufpasser zieht entnervt ab.

15.000 Menschen hatten sich, nach Schätzungen der Polizei, am Samstag bei Schneetreiben und schneidender Kälte an der Münchner Maximilianstraße und am Ostfriedhof versammelt, um den Trauerzug und die Beisetzung des ermordeten Rudolph Moshammer zu verfolgen. Die meisten von ihnen gleichen der kleinen, aber standfesten Gruppe am Mausoleum: Neben ein paar Punks und König-Ludwig-Freaks, wenigen – erkennbar – Obdachlosen und einigen schwulen Pärchen waren es vor allem Frauen und, erheblich weniger, Männer ab 55 aufwärts, die einmal bei einem Ereignis dabei sein wollten, über das später die Bunte und die Aktuelle berichten werden – und die sich weitgehend darin einig schienen, dass „der Mosi“ ein anständiger Mensch war, der sich aus kleinen Verhältnissen nach oben gearbeitet hat, gut zu seinem Hund und zu Obdachlosen war und durch sein Auftreten auch ein wenig Glanz in ihren Alltag gebracht hat. Und sein Tod? „Sein Privatleben war seine Sache, das geht niemand was an.“

Nicht alle Menschen teilen diese Haltung. Vor allem dann nicht, wenn sie etwas bekannter sind. Um zu verstehen, wie die feinen Abgrenzungsregeln innerhalb der Promi-Society funktionieren, war es interessant zu sehen, wer alles nicht zur Beerdigung von Moshammer gekommen war. Von einer Beerdigung mit so vielen Terminschwierigkeiten der geladenen Gäste hat man zuvor selten gehört.

Gut, Thomas Gottschalk musste „Wetten, dass?“ vorbereiten, aber Franz Beckenbauers „anderweitige Termine“ bestanden in einem Party-Wochenende in Kitzbühel. Auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der selten eine Gelegenheit zu medienwirksamen Auftritten verstreichen lässt, hatte plötzlich gar keine Zeit, genau wie Heiner Lauterbach, Walter Scheel oder jegliche Prominenz aus Politik und Medien, die sich sonst gern mit dem Modemacher auf Festen schmückte.

So fanden sich abgesehen von Schauspieler Ottfried Fischer hinter Moshammers Sarg eine Handvoll zweifelhafter Gestalten wie Roberto Blanco, die Jacob-Sisters und Ex-1860-München-Präsident Karl-Heinz Wildmoser ein – jene also, die mit Moshammer das Schicksal teilten, von den oberen Zehntausend Münchens stets abschätzig betrachtet zu werden. Trotz der bescheidenen Besetzung war die Beerdigung des Rudolph Moshammer keineswegs jenes unwürdige Spektakel, das manche Vertreter der katholischen Kirche und Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) zuvor öffentlich befürchtet hatten. Mozarts Reqium ertönte in der Allerheiligenkirche, Pfarrer Christian Stalter hielt eine einfühlsame Rede, in der er treffend konstatierte, dass vieles in Moshammers Leben „nicht verstehbar“ bleibt. Der Unternehmer Erich Lejeune ließ den Ermordeten tröstlich als nächsten „Münchner im Himmel“ aufsteigen. Später intonierten die von Moshammer offenbar sehr geschätzten „Schleißheimer Schloßpfeiffer“ vor dessen Geschäft in der Maximilianstraße ein paar fröhliche Märsche. Das passte: Im Millionendorf München fand eigentlich nichts anderes als ein Dorfbegräbnis mit Weltniveau statt – was den Medienrummel und die perfekte Organisation betraf. Die erfreulich unpompöse Inszenierung fand vielleicht auch anderswo Anklang: Als der Sarg ins Mausoleum hinabgelassen wurde, hellte sich der schneegraue Himmel über der Stadt das einzige Mal an diesem Tag auf – und nur ein paar Sekunden lang brach die Sonne durch.