Havenwelten Bremerhaven
„Wir sind die Hauptattraktion“

Im Juni wird in Bremerhaven das Klimahaus eröffnet. Es soll ein abstraktes Thema „erleb- und erfahrbar“ machen
SCIENCE-CENTER In vier Wochen eröffnet das Bremerhavener Klimahaus. Die 100 Millionen Euro teure Wissenschaftsausstellung will seine Besucher „ohne erhobenen Zeigefinger sensibilisieren“ – und das Stadtentwicklungsprojekt „Havenwelten“ vervollständigen

In Bremerhaven habe die Politik „einen Bezug zum Geld, wie ihn auf musikalischem Gebiet ein Bohlen zu Beethoven hat“ ätzte eine große Bremer Tageszeitung, als vor zwei Wochen die Nachricht bekannt wurde: Die ohnehin völlig überschuldete Seestadt würde sich 22 Millionen Euro mehr als geplant leihen müssen, um ihre „Ankerattraktion“ Klimahaus zu Ende bauen zu können.

Auf Anfrage hatte Oberbürgermeister Jörg Schulz (SPD) eingeräumt, dass die Kosten für die Ausstellung erheblich über den ursprünglichen Kalkulationen liegen: 100 Millionen Euro werden bis Ende Juni in dem Science-Center verbaut sein – rund 30 Millionen als am Anfang gedacht.

Die Bremerhavener Opposition aus Grünen und FDP fordert seitdem einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss: „Die Warnungen waren schon lange deutlich,“ sagte der grüne Fraktionschef Ulf Eversberg. Nun müssten „alle Fakten auf den Tisch, statt Bauernopfer zu suchen.“

Beim Klimahaus gibt man den schwarzen Peter derweil an die Kommune: „Der Bau ist Sache der öffentlichen Hand,“ sagt Klimahaus-Sprecher Wolfgang Heumer. „Die Abmachung war: Wir machen das Konzept, die Stadt baut und anschließend pachten wir von ihnen und tragen auch das Betriebsrisiko,“ sagt Heumer – was unter anderem die Verantwortung für 130 Arbeitsplätze einschließe. Den Preisanstieg erklärt Heumer so: Nach einem Vergaberechtsstreit hätte einem zunächst unterlegenen Bieter der Auftrag für eine Beteiligung an der Klimahaus-Fassade erteilt werden müssen. In der Zwischenzeit sei der Preis für die 1.200 Tonnen Spezialstahl aber „explodiert“; außerdem habe sich dann herausgestellt, dass der neue Auftragnehmer gar nicht genug Stahl habe liefern können – was weitere Verzögerungen und Teuerungen bedeutet hätte. cja

VON CHRISTIAN JAKOB

Der kamerunische Regenwald riecht nach neuem Auto und Turnschuhgeschäft, die Polarstation wie Erdbeernebel und Samoa erinnert an den Duft von Marzipan. Die verschiedenen Sorten Klebstoff und Lack, die in diesen Tagen in dem Glasbau austrocknen, schicken auf jeden Fall schon einmal die Nase auf eine Reise.

Wenn alles nach Plan läuft an der Bremerhavener Columbusstraße, dann sollen ab Juni die monatlich 50.000 erwarteten Besucher des „Klimahauses“ eine Reise antreten können, die sie auch mit den übrigen Sinnen einmal um die Welt führt.

Das Thema Klima für jedermann „erleb- und verstehbar“ machen will das mit vollem Namen „Klimahaus Bremerhaven 8° Ost“ genannte Science Center an der Wesermündung.

Kern der Ausstellung ist eine Reise entlang des achten Längengrades, von Bremerhaven durch die Schweiz, Sardinien, den Niger und Kamerun in die Antarktis, zurück dann auf der Rückseite der Erde, über Samoa, Alaska und die nordfriesische Hallig Langeneß. Wie sich der Klimawandel in den verschiedenen Zonen der Welt auswirken könnte, soll anhand der Begegnungen des Hamburgers Axel Werner mit Schweizer Bergbauern, nigerischen Tuareg, den Polarforschern des Alfred-Wegener-Instituts oder Yupik-Eskimo in Alaska begreifbar werden. „Das sind alles real existierende Menschen, die auch zur Eröffnung kommen“, sagt Klimahaus-Sprecher Wolfgang Heumer.

Gefolgt ist dem Protagonisten Werner auf seiner Reise der amerikanische Dokumentarfilmer B. Z. Goldberg. An seinen Bildern entspinnen sich die meisten der etwas plastiklastigen Themenräume im Klimahaus. „Sensibilisieren, aber ohne erhobenen Zeigefinger“, so Heumer, das sei das Ziel des Klimahauses. Deswegen gibt es außer der Reise auch noch andere Bereiche, in denen die Besucher etwa in Fahrsimulatoren spritsparendes Autofahren üben können.

„Eine ganz spannende Sache“, werde dies, freute sich die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch am letzten Montag und die Betreiberfirma Petri & Tiemann, die auch das „Universum“ führt, verspricht „spektakuläre Kulissen“ für einen Blick auf „eines der brennenden Themen unserer Zeit“.

Doch vorher muss der Bau fertig werden, und die Handwerker dürften dafür alle Hände voll zu tun haben in den nächsten 28 Tagen. Am Donnerstag sucht ein Focus-Redakteur nach Stellen, die ein Fotograf am nächsten Tag für eine Bildstrecke in seinem Magazin ablichten kann, doch so recht wird er nicht fündig. „Wir werden rechtzeitig fertig“, sagt der Pressesprecher, „alles, was jetzt noch fehlt, ist schon vorgefertigt. Das muss nur noch eingesetzt werden“.

Im kamerunischen Nachtwald stecken deshalb drei junge Frauen mit Höhlenforscher-Stirnlampen Plastikfarne in vorgelochte Wandelemente, am Strand eines verlassenen samoischen Dorfes montieren zwei Handwerker das Aquarium, das den Pazifik darstellen wird, und am Schweizer Blüemlisalpfirn werden die Kühlkabel für die vereiste Innenansicht des Gletschers festgezogen.

„Der Permafrostboden taut hier immer weiter ab,“ sagt Heumer. Für die Bergbauernfamilien ist das ein Problem: Das schmelzende Eis war der Kitt, der das Geröll am Berg hält. Nun ziehen immer öfter Gerölllawinen über die Almwiesen – im Klimahaus simuliert durch 20.000 plötzlich herabfallende, geröllgrau bemalte Bälle. Wie sich das Dasein als Käsebauer unter solchen Umständen gestaltet, davon handelt ein Hörspiel, in dem der heute heranwachsende Sohn einer Familie aus dem Isental sein Leben aus der Perspektive des Jahres 2050 erzählt.

Das Klimahaus will CO2-neutral sein. Der Strom kommt deshalb von eigenen Solarzellen und einer Naturstromtocher der Oldenburger EWE; die zugekaufte Wärme sei die „überschüssige“ Energie des Bremerhavener Müllheizkraftwerks. Dabei handelt es sich um die Wärme, die das Kraftwerk nicht verkauft, weshalb, so Heumer, für das Klimahaus „kein zusätzliches CO2“ entstehen soll. Hinzu komme ein ausgeklügeltes Austauschsystem, in dem die zu kühlenden und zu erwärmenden Bereiche des Hauses energiemäßig voneinander profitieren und „aktivierte Betonkerne“, die die nächtliche Kühle der Nordsee speichern.

Nach dem Gletscher und einer sardischen Insektenwiese erwartet den Besucher ein nigerischer Wadi und die Geschichte der jungen Tuareg Mariam aus dem Dorf Kanak. Ihr Stamm führt seit langem eine erbitterte Auseinandersetzung mit der Zentralregierung, die ihn nicht an den Einkünften aus dem Uranabbau durch eine französische Firma auf ihrem Land beteiligen will. „Der politische Konflikt wird hier aber nicht direkt thematisiert“, sagt Heumer. Dafür wurde ein 200 Quadratmeter großes Stück Wüste „originalgetreu“ in eine quadratische, dunkle, mit sphärischen Klängen unterlegte Installation eingebaut. Alle zwölf Minuten richtet sich ein Scheinwerfer auf die Stelle, an der ein einziger Wassertropfen niedergeht, dessen akustisch verstärkter Fall das Ende der Verweildauer in dem Raum andeutet. Auch Mariam berichtet den Besuchern in einem fiktiven Tondokument aus dem Jahr 2050, wie ihr Leben unter sich ändernden klimatischen Bedingungen verlaufen sein wird.

Mit 600.000 Besuchern im Jahr rechnet die Betriebsgesellschaft – für Heumer „kein Problem“. „Ins Universum kommen schon jedes Jahr 500.000, und wir sind vier mal so groß.“ Die wirtschaftliche Schallgrenze liege ohnehin „deutlich darunter“, Zahlen dazu nenne das Unternehmen aber nicht.

Aus einem Einzugsbereich von zweieinhalb Stunden Anfahrtsdauer sollen die Besucher nach Bremerhaven kommen, dazu all die Touristen, die an der Nordsee urlauben. 12,50 Euro werden sie für den Eintritt zahlen müssen, 8,50 Euro kostet der ermäßigte Eintritt, Familien jeder Größe zahlen 36 Euro. „Schon ganz schön ordentlich“, findet der Focus-Redakteur die Preise. „Überlegen Sie mal, was Sie sonst überall bezahlen“, entgegnet ihm Heumer. Immerhin bekommt man viel zu sehen für sein Geld: Vier Stunden muss ein durchschnittlich fixer Klimahaus-Besucher allein für die Reise einplanen, die anderen drei Bereiche – „Elemente“, „Perspektiven“ und „Chancen“ genannt – kommen noch dazu. „Da können Sie sich verlieren“, sagt Heumer, so viele interaktive Exponate gebe es dort. Die Betreiber hoffen deshalb, dass die Leute nach einigen Stunden ihren Rundgang beenden, aber Lust auf den noch ungesehenen Rest verspüren: „Wir gehen davon aus, dass wir viele Wiederholungsbesucher haben.“

Nach der Wüste begeht der Besucher einen Bereich, der dem kamerunischen Korup-Nationalpark nachempfunden ist. Hierzu gehört ein Raum mit einer Motorsägen-Installation. An die Wand sind die Namen tropischer Länder geschrieben, daneben signalisieren Striche, wie viele Hektar Regenwald in diesen Ländern pro Stunde abgeholzt werden – im Fall von Sambia etwa sind es ganze 51.

„Es sieht aus wie das Paradies,“ sagt Heumer, „das Dorf hier ist aber schon verlassen, denn der Meeresspiegel steigt immer weiter an.“

Dort, wo nun das Klimahaus steht, wurde 1827 Bremerhaven gegründet, sagt Heumer. Der Bau liegt zwischen dem „Alten Hafen“, der heißt, was er ist, und dem Becken des „Neuen Hafens“, der auch ein alter Hafen ist. Schon vor langer Zeit wurde es den Hafenbetrieben nämlich zu eng im Stadtkern und sie zogen immer flussabwärts. Heute liegen die riesigen Terminals rund fünf Kilometer in Richtung Nordsee, dort, wo sich das Weserdelta schon weit aufspreizt. Und im Herzen der Stadt klaffte eine Brache, mit der lange niemand etwas anzufangen wusste. Ende der neunziger Jahre regten Projektentwickler den Bau eines „Ocean Parks“ an, als Schwesterprojekt des realisierten, aber als Pleiteruine untergegangenen Space-Parks. Der „Ocean Park“ sollte ein „Erlebnis-Innenstadtquartier“ werden, rund um die Themen Tiefsee-Forschung und Meeresgetier. Doch einige Bremerhavener konnten dem 600 Millionen Euro-Projekt, dessen Gestaltung dem amerikanischen Architekturstar Peter Chermayeff überantwortet werden sollte, nichts abgewinnen. Ihre Bürgerinitiative „Ocean Park – nein danke“ machte Stimmung gegen den Park, die Insolvenz eines der beteiligten Projektentwicklungsbüros gab dem ehrgeizigen Vorhaben im Jahr 2003 dann schließlich den Rest.

Und so können sich die Klimahaus-Besucher heute nach dem Gang durch einen angedeuteten westafrikanischen Mangrovensumpf von einem Expeditionsschiff zu einer Polarstation des Alfred-Wegener-Instituts bringen lassen – und sich dabei einem Temperatursturz von -41° Grad aussetzen. Im Inneren der Polarstation lauscht man dem aufgenommenen Knacken des ewigen Eises, bevor man irgendwann wie Pinocchio aus dem Inneren eines Wales an den Strand des pazifischen Inselstaates Samoa gespült wird. „Es sieht aus wie das Paradies“, sagt Heumer, „das Dorf hier ist aber schon verlassen, denn der Meeresspiegel steigt immer weiter an.“

In Bremerhaven setzte man derweil aber weiter auf das Siedeln am Wasser. Neue Projektentwickler regten an, das Brachquartier unter dem Namen „Havenwelten“ neu zu etablieren: „Ein maritimer Stadtteil“, der „uns und unseren Gästen eine neue Welt schafft“, wie die Projektentwicklungsgesellschaft BEAN ihr Ziel formuliert.

Diesmal machte keine Bürgerinitiative dem Projekt den Garaus und nach und nach entstand ein Ensemble von Touristenattraktionen: Das 2000 erweiterte Deutsche Schifffahrtsmuseum, dann 2004 der kleine, aber beliebte „Zoo am Meer“. 2005 eröffnete das „Deutsche Auswandererhaus“, das letztes Jahr den europäischen Museumspreis gewann. 2008 kam das segelförmige „Sail City“-Hotel mit angeschlossenem Kongresszentrum hinzu, kurz darauf das pastellfarbene Einkaufszentrum „Mediterraneo“, wo der Versuch, eine irgendwie italienische Stimmung zu erzeugen, zumindest ästhetisch etwas missriet. Dazu ein Strandbad, eine Promenade, „Traditionsschiffe“ und Wohnimmobilien. Schon jetzt resümiert die BEAN, die Havenwelten seien ein „leuchtendes Beispiel zukunftsweisender Stadtentwicklung“. Und das „Aber“ mancher Skeptiker sei „inzwischen schon zu einem ‚Aha‘ geworden“.

Wenn alles glatt geht wird am 27. Juni das Klimahaus die Havenwelten komplettieren. „Wir sind hier die Hauptattraktion und ein Alleinstellungsmerkmal für Bremerhaven“, sagt Heumer und zumindest optisch wird ihm niemand ernsthaft widersprechen wollen. Der 11.800 Quadratmeter große, fließend geformte Stahlbau bildet den Schwerpunkt des architektonischen Gefüges an der Hafenkante.

Keinen Steinwurf entfernt, jenseits der Promenade, liegt die an dieser Stelle mehr als einen Kilometer breite Wesermündung. Seit 1965 ist hier der Meeresspiegel um 35 Zentimeter angestiegen. Bis zum Ende des Jahrhunderts sollen 50 bis 100 Zentimeter hinzukommen – mindestens: „Darin ist mögliches Schmelzwasser der Pole noch nicht eingerechnet“, sagt Heumer. Der bisherige Anstieg sei ausschließlich auf die Ausdehnung des Volumens des Meerwassers durch den Temperaturanstieg zurückzuführen. Für das Klimahaus ist all das aber trotzdem kein Problem: „Wir haben hier neun Meter Deich. Da passiert nichts.“