Ein neues, altes Zuhause am Kap

AUS KAPSTADTMARTINA SCHWIKOWSKI

Der „Cape Doctor“ bläst heftig. Dieser Wind, der am Fuße des Tafelbergs durch die Stadt pfeift, macht Staub und Schmutz den Garaus und damit seinem Namen alle Ehre. Nicht jeder mag es, wenn ihm die Seeböen um den Kopf peitschen, aber Dan Ndzabela liebt Sturm und frische Luft. Die Tür zu seinem Haus steht offen. Der Mann empfängt häufig Gäste mit seinem liebenswürdigen Lächeln. Sie kommen und gratulieren zum Einzug.

Stolz öffnet er die Vitrine im Wohnzimmer und holt den Schlüssel hervor, den ihm der frühere Präsident Nelson Mandela am Tage seines Umzuges als Symbol für den ersten Rückkehrer in das traditionelle Viertel „District Six“ überreichte. Inzwischen hat sich der 82 Jahre alte Pensionär in dem kleinen weißen Reihenhaus eingelebt und genießt den Blick vom Schlafzimmer auf den mächtigen Tafelberg, der sich am späten Nachmittag häufig in rosarote Nebelschwaden hüllt. Lange ist es her, dass er so nah am Berg, dem Wahrzeichen Kapstadts, gewohnt hat. Genau 45 Jahre. Als die Apartheid-Politiker die Räumung der Häuser im Bezirk, der nahe an Innenstadt und Hafen liegt, veranlassten und Planierraupen anrückten, musste Dan Ndzabela seine Sachen packen. Doch nun wird versucht, die Geschichte wenigstens ein bisschen zurückzudrehen.

Ehrgeizige Pläne

Die Zeenatul-Moschee am Ende der Kirchstraße ruft zum Gebet. Ndzabela blickt aus seinem Fenster und sieht die muslimischen Nachbarn vorbeiziehen. Auch er war schon dort und fand einen Augenblick der Ruhe und des Dankes für sein spätes Heimkehrerglück. Doch meistens sitzt er zu Hause. Seine 76 Jahre alte Frau Maria kocht, die Enkel hocken vor dem Fernsehen und gucken „Soapies“.

Noch gibt es wenig Leben rundherum. 15 neue Häuser sind gerade im Bau, aber der Häuserblock in der Chapel Street mit den doppelstöckigen Wohnungen ist bisher das einzige Rücksiedlungsprojekt, das die Regierung vollendet hat. Mit Dan Ndzabela zogen dort neun Familien ein. Aber ehrgeizige Pläne versprechen 4.000 Wohnungen in den nächsten drei Jahren für etwa 30.000 Menschen, die sich wieder dort ansiedeln möchten, wo sie aus rassistischen Motiven einer weißen Apartheidregierung vertrieben worden waren. Es ist ein langer Prozess, der nach Jahren der Verhandlungen zwischen dem „District Six Beneficiary Trust“ und den Behörden im zehnten Jahr der Demokratie in Südafrika langsam zum Erfolg kommt.

Das noch freistehende Gelände des ehemaligen Wohngebiets zieht jedoch nicht nur die einst Vertriebenen wieder an, sondern lockt Spekulanten in die attraktive Gegend. Die schöne Lage am Berghang nahe dem Stadtzentrum weckt ihr Interesse in einer Zeit, in der Kapstadt sich rasant entwickelt. Ausländische Investoren kaufen Häuser in der Innenstadt sowie am Hafen und verwandeln sie in Apartment- und Büroblocks. Die Kaufpreise sind in den letzten zwei Jahren ums Doppelte gestiegen und Neubauprojekte finden schnell aus- und inländische Käufer.

Aber im sechsten Bezirk wurden die Immobilienmakler abgewiesen. Denn in diesem Viertel soll die alte Wohnsituation wiederhergestellt werden. „Das Land war ein Geschenk der Regierung an die ehemaligen Einwohner“, sagt Anwah Najia, Vorsitzender des Treuhänderkomitees. Sie dürfen ihr Haus erst nach 15 Jahren verkaufen, und zwar nur an die Treuhändergesellschaft. Südafrikas Verfassung sieht die Rückgabe von Land vor oder finanzielle Entschädigung. Das wäre in diesem Fall eine einmalige Summe von etwa 7.500 Euro. „Ohne Landrückgabe kann es keine Heilung der Wunden geben“, meint Najia. Die Regierung sorgt für Finanzhilfe beim Wiederaufbau, die Stadtverwaltung für Infrastruktur und die Gemeinde für den Hausbau. Die alte Heimat District Six soll wieder aufblühen.

„Das Leben hier war wunderbar: Alle wohnten friedlich nebeneinander“, erklärt Rückkehrer Ndzabela. Sein Gedächtnis ist voller Erinnerungen an alte Zeiten. Von seinem Küchentisch aus deutet er in alle Richtungen seiner Nachbarschaft, in der seit der Gründung des Distrikts im Jahr 1867, als die Stadt in sechs Bezirke eingeteilt wurde, eine lebendige Gemeinde lebte. Eine multikulturelle Gemeinde, die sich aus Zuwanderern aller Welt gebildet hatte.

Der Distrikt wuchs, und je größer er wurde, desto mehr vernachlässigte die Stadtverwaltung die Versorgung der Bewohner. „Die Straßen wurden holprig“, sagt Ndzabela, „und Vermieter kümmerten sich nicht um ihre Häuser.“ Die Regierung nutzte diesen Zustand, das Viertel als „Slum“ abzustempeln, ein vorgeschobener Anlass für die Vertreibung. 1948 kam die Nationale Partei in Südafrika an die Macht und schon zwei Jahre später zementierten die Apartheidarchitekten mit der Einteilung der Wohngebiete nach Gruppen per Gesetz ihre Rassentrennung. 1966 wurde District Six zum Gebiet, das ausschließlich Weißen vorbehalten bleiben sollte.

60.000 Vertriebene

Zwischen 1966 und 1980 hat die Regierung 60.000 Menschen vertrieben und ihre Häuser zerstört. Familien und Freunde wurden getrennt, viele fanden eine Behausung in den neuen Townships von Kapstadt. Durch Depression, weite Transportwege, Arbeitslosigkeit und Zerstörung des gewachsenen sozialen Lebens entfaltete sich Kapstadts gefürchteter „Gangsterism“, ein Monster, das durch die Apartheidregierung selbst initiiert worden ist. Vom District Six blieb nichts übrig. Lediglich die Erinnerungen. Alte Fotos, Straßenschilder, Zeichnungen und Gedichte sind von vielen Einwohnern zusammengetragen worden und erzählen seit der Eröffnung des „District Six Museum“ 1994 die Geschichte.

Die Wintersonne brennt auf das Township Gugulethu, eine halbe Stunde Autofahrt vom historischen Wohnviertel Ndzabelas. In den Streben des eisernen Gartentors steckt ein Brief. Dan Ndzabela bekommt immer noch Post in sein altes Haus geliefert, das er regelmäßig besucht. Besonders an Wochenenden wird es ihm zu langweilig im District Six und er nimmt eines der vielen Minibus-Taxis nach „Gugs“. „Ich habe zwei Häuser in meinem Namen, das gefällt mir“, sagt er. Sein Haus ist großräumig, doch bis auf einen Untermieter steht es leer. Nur Spozo, sein Hund, begrüßt den alten Mann. Es ist immer noch sein Zuhause, das Township, das nach seiner Vertreibung aus dem Distrikt die neue Bleibe für den jungen Mann, seine Frau und zwei Kinder wurde. Hier spielt sich Leben ab, der Haarsalon ist gegenüber, der Gemüsestand um die Ecke. „Es ist mehr wie in der Wichtstraße früher“, meint Ndzabela. Er setzt sich in seinen Garten und denkt zurück an den Tag im Jahr 1959, als er die Benachrichtigung zum Auszug fand. Er arbeitete als Angestellter bei der Stadtverwaltung. „Ich war geschockt, aber wollte nicht kämpfen, ich war ängstlich“, sagt er. Er packte seine Sachen und wurde in einer Blechhütte in Gugulethu, damals Nyanga West, untergebracht.

Von „Gugs“ war es beschwerlich, zur Arbeit zu kommen, der Tag begann um fünf Uhr und um acht kam er heim, wenn Freunde ihn absetzen konnten. Aber das Leben ging weiter. „Wir hatten eine traditionelle Einweihungsfeier“, erinnert er sich. „Hier im Hinterhof haben wir starkes Bier, umqmboti in der Xhosa-Sprache, gebraut und eine Ziege geschlachtet.“ Der alte Mann lächelt. „Die Frauen kochten im Haus. Später haben wir die Ahnen gerufen, um Segen für unser neues Heim gebeten.“ Die Musik kam damals aus einem geliehenen Radio mit Batterien, denn Licht und Strom gab es nicht. „Nein, bitter bin ich nicht wegen der Apartheid. Vergangenheit ist Vergangenheit.“ Bei einem Spaziergang durch „Gugs“ blickt er auf den Tafelberg. „Es tat schon weh, zu wissen, dass ich dort nicht leben kann.“ Als er viele Jahre später hörte, dass ehemalige Einwohner des Distrikts ihre Namen auf eine Liste setzen können, um rückgesiedelt zu werden, war er dabei.

Eine volle Moschee

In der Kirchstraße ist das Mittagsgebet in der Moschee beendet. Die geparkten Wagen verschwinden wieder. „Hello, old man.“ Dan Ndzabela wird vom Imam begrüßt. Sheikh M. Moerat kennt den alten Mann. Er ist zuversichtlich, dass die Einwohner, wie Dan Ndzabela, zurückkommen werden. Zwölf Jahre ist er im Amt im Distrikt und seine Moschee sowie andere Gotteshäuser waren nie leer. „Die Menschen kamen immer zum Gebet, das konnte ihnen niemand nehmen“, sagt er. Für die künftigen Bewohner sind schon Pläne gemacht worden: In der Moschee zeigt ein Modell, wie der Anbau des Gebetshauses aussehen soll.

Dan Ndzabela ist müde. Der 82-Jährige steuert auf sein Haus mit der Nummer 82 zu. Direkt nebenan sitzt sein Nachbar auf den Stufen. Ibrahim Murati ist 87 Jahre und zählt ebenfalls zur Gruppe der Älteren, die zuerst zurückkehren durften. Auch er musste einst seine Heimat verlassen, leistete jedoch Widerstand, bis die Planierraupe ihn fast überrollte. „Am Ende sind wir doch dort angelangt, wo wir hinwollten“, sagt er. Und sein Freund Dan zitiert Nelson Mandela. „Er predigte immer, dass wir eines Tages in Frieden leben werden. Und Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.“