Blindschleichen sind keine Vipern

In Düsseldorf wurde versucht, rechts auf der Standspur zu überholen. Uraufführung von „Vipern“, der ersten großen Oper von Christian Jost, Composer in Residence an der Deutschen Oper am Rhein. Regisseur Eike Gramss verschob die ältliche Geschichte von Mittelmeergestaden nach Beliebistan

VON FRIEDER REININGHAUS

Er habe nicht vorgehabt, das Genre Oper zu sprengen, erklärte der 41jährige Christian Jost aus Trier. Um dies tun zu können, muss einer allerdings auch über eine Lunte und entsprechend geballte Ladung verfügen. In den an Klangfacetten reichen Sinfonien oder den Solokonzerten, mit denen der Weltenbummler und Komponist bislang hervortrat, finden sich aber nicht einmal Spurenelemente von kompositorischem Dynamit.

Bei Josts erstem abendfüllenden Bühnenwerk „Vipern“ handelt es sich um ein, mit mäßigem Theaterwitz begabtes, Konversationsstück, das Thomas Middleton und William Rowley ausbeutet – zwei Zeitgenossen Shakespeares. Ein konventionell gestricktes Libretto: In einem Schloss bei Valencia im 17. Jahrhundert soll der heimlich geliebte Alsemero bei der Hochzeit den rechtmäßigen Bräutigam Alonzo vertreten. Die Braut Beatrice, ausgestattet mit der dunklen Noblesse und der willensstarken Stimme von Moreneike Fadayomi, lässt ihn von dem ihr ergebenen Domestiken De Flores umbringen. John Wegner erledigt das fernsehgerecht.

Statt Gold begehrt der Messerstecher das frische Fleisch der Auftraggeberin. Er vergewaltigt sie auf dem rechten hinteren Kotflügel eines teuren Benz-Cabriolets, während Gottfried Pilz seine zeitlos leere Welt der Spiegelwände als Hemisphäre des Luxus und der Moden charakterisiert. Mit der Sünde stellt sich bei Beatrice die Lust ein. Da sie sich nun nicht mehr als virgo intacta ins Brautbett legen kann, schiebt sie Alsemero die Zofe Diaphanta unter. Es funkt auch da, während eine Combo auf der Bühne eine kleine Hochzeitsnachtmusik plätschert. Das veranlasst die Herrin, die Dienerin aus dem Weg räumen zu lassen.

Im Souterrain der feudalen Welt befindet sich praktischerweise eine Irrenanstalt, in der bevorzugt mit einem Nornenseil und einer Klistierspritze hantiert wird. Im Tohuwabohu der sich selbst zur Hochzeitsfeier einladenden Geisteskranken – die sich benehmen wie ein Düsseldorfer Karnevalsverein in fortgeschrittenem Stadium – kommt Alsemero seiner Beatrice auf die üblen Schliche. Er stellt sie zur Rede – sie liquidiert daraufhin ihren Mordhelfer, schwingt sich feinsinnig singend zu etwas finaler Nachdenklichkeit auf: „Welch verhangenen Körper hat der Mond, als er zuletzt gewechselt über uns!“

Christian Jost tauchte ganz in die breite und beim mittleren Publikum akzeptierte Strömung der Literatur- oder Handlungs-Oper ein und komponierte fast naiv dem Text entlang. Die handwerklich gediegene Partitur stellt entwickelten Sinn für süffige Melodiebildung unter Beweis. Der Dirigent John Fiore versteht die plakativen Orchester-Effekte zu nutzen – manche Passage könnte als Soundtrack eines Kostümfilms dienen. So wurde avancierten Formen des Musiktheaters eine klare Absage erteilt.

Regisseur Eike Gramss verschob die ältliche Geschichte von den spanischen Mittelmeergestaden nach Beliebistan. Da geht nichts unter die Haut. Offensichtlich haben sich die Initiatoren des Werks – vornan der ideenstiftende Intendant Tobias Richter – Salvatore Sciarrinos „Tödliche Blume“ zum Vorbild genommen, auch sie bediente sich einer vergleichbaren barocken Geschichte (die des komponierenden und aus Eifersucht mordenden Fürsten Gesualdo). Allerdings errang Sciarrino mit avancierteren ästhetischen Mitteln internationale Erfolge.

In Düsseldorf wurde versucht, rechts auf der Standspur zu überholen – der Anspruch heruntergeschraubt. Mundgerecht für ein Publikum, das in der 5. Jahreszeit nicht zum Nachdenken aufgelegt sein mag und in keiner Weise gefordert oder gar gefördert wird. In einem Land, dessen dynamische Geschäftsleute, überbezahlte Wirtschaftsführer und politische Sparkommissare ansonsten den Ruck nach vorn einfordern, erscheint diese Uraufführung als Nachzügler einer guten alten Opernzeit, die längst vergangen ist und nicht als Zeichen des Aufbruchs. Diese „Vipern“ sind Blindschleichen. Und die taugen gewiss nicht als Zündschnüre.

Heute, 19:30 Uhr Deutsche Oper am Rhein, DüsseldorfKarten: 0211-8925211