Studenten müssen sich jetzt sputen

Nach dem Verfassungsgerichts-Urteil fordert Finanzsenator Sarrazin (SPD) eine neue Debatte über Studiengebühren. Wissenschaftssenator Flierl (PDS) lehnt diese weiterhin bis 2006 ab. Die Studierenden reagieren bisher gelassen

Bildung via Fernsehen – zwar keine Sparmaßnahme der Humboldt-Universität, aber ums Geld ging’s dennoch. Rund 30 Studenten verfolgten gestern die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts auf einer Leinwand, die eigens im Senatssaal der Uni aufgebaut war. Obwohl sich die Studenten bis zur Wahl 2006 sicher vor den zusätzlichen Kosten wähnen, die durch die Aufhebung des generellen Verbots von Studiengebühren entstehen dürften, fürchtet die Mehrheit Konsequenzen.

„Das Urteil ist fatal und bedeutet die Abschaffung des Zugangs für alle“, sagt Geraldine Hohn. Wie die 23-jährige Jurastudentin sehen auch andere in Studiengebühren eine Selektierung nach sozialer Herkunft. Ihr 21-jähriger Studienkollege meinte etwa: „Es wird eine in Beton gegossene Klassengesellschaft geschaffen.“ Auf ihre Proteste voriges Jahr gegen das Studienkontenmodell führen es die Hochschüler zurück, dass sie in Berlin nicht vor 2006 mit einer Gebühr rechnen müssen. „Solange die PDS an der Macht ist, haben wir Glück gehabt“, glaubt der 23-jährige Geschichtsstudent Markus Berg.

Zwar schließt Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) eine Gebührenerhebung in dieser Legislaturperiode aus. Zugleich fordert aber Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) eine neue Diskussion über die Einführung von Gebühren: „Pro Hochschulabsolvent zahlt Berlin 51.700 Euro an die Unis und 28.290 Euro an die Fachhochschulen.“ Angesichts der maroden Haushaltslage müsse eine Lösung gefunden werden. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Michael Müller, befürwortet weiterhin ein Studienkontenmodell. CDU und FDP begrüßen den Richterspruch und hoffen auf baldige Umsetzung auch in Berlin. Die Grünen bedauern das Urteil und betonen, dass ein Erststudium kostenfrei bleiben müsse.

Schon jetzt überlegen Berliner Studenten, wie sie 500 Euro je Semester finanzieren könnten. Eltern oder Großeltern als Sponsoren – das ist ein Weg. Aber wer Geschwister hat, fürchtet, sich mit Nebenjobs durchschlagen zu müssen. „Bis die Gebühr kommt, bin ich hoffentlich fertig“, sagt Elena Richter.

Die Hochschulgruppe Demokratische Linke, die die Übertragung in der Humboldt-Uni initiiert hat, will die Entwicklung erst einmal weiter verfolgen. Wenn nötig, so Mitorganisatorin Mara Neele Künkel, wollen sich die Berliner solidarisch mit Hochschülern in anderen Bundesländern zeigen. Der Allgemeine StudentInnen-Ausschuss der TU Berlin erklärte, die Studiengebühr sei zwar Landesrecht, aber ihre Rechtmäßigkeit bleibe zweifelhaft. Der Asta der FU lädt heute um 14 Uhr in der Silberlaube zu einer Vollversammlung ein, um über Aktionen zu diskutieren. SONJA FRANK

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