„Niemals wieder!“ bleibt auch heute aktuell

Sechzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz erinnern bei einer offiziellen Gedenkfeier auf dem KZ-Gelände Holocaust-Überlebende und Politiker daran, dass damals nicht alles getan wurde, um den Völkermord zu verhindern

WARSCHAU taz ■ Mit lautem Rumpeln hält ein Zug an der Rampe von Auschwitz-Birkenau an. Den ehemaligen Häftlingen stockt der Atem. Es ist kein Zug zu sehen, doch allein dass Geräusch weckt bei vielen grausame Erinnerungen. 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee gedachten gestern mehr als 30 Staats- und Regierungschefs sowie Delegationen aus 46 Staaten der Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Allein in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau hatten die Deutschen 1940 bis 1945 über eine Million Menschen ermordet.

Polens ehemaliger Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, der als 18-jähriger Schüler bei einer Razzia in Warschau verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden war, mahnte in seiner Eröffnungsrede mehr internationale Verantwortung an. Kein einziger Staat habe in den 40er-Jahren auf die Nachrichten vom deutschen Völkermord an den europäischen Juden reagiert. Dabei seien Großbritannien und die USA seit Ende 1942 über die NS-Konzentrationslager im besetzten Polen genauestens informiert gewesen. Kuriere des polnischen Untergrunds hätten unter Lebensgefahr die Nachrichten überbracht. Doch statt Maßnahmen gegen die Mörder zu ergreifen, hätten die Westalliierten nur gedroht, diese nach dem Krieg zu bestrafen.

Simone Veil, die Vorsitzende der Stiftung „Erinnerung an die Shoah“, wandte sich „an alle, die hier an diesem besonderen Ort versammelt sind. Fast alle von uns sind vor der Befreiung durch die Rote Armee über diese Todesstufen gegangen, auf denen so viele Menschen gestorben sind.“ Auf der Rampe nebenan habe Dr. Mengele in Sekunden über Leben und Tod von Tausenden entschieden. Einige der Täter hätten ihre Strafe in Nürnberg erhalten. „Dennoch hat sich das ‚Niemals wieder!‘ nicht erfüllt“, so Veil. „Noch immer ist die Welt Zeuge von Völkermorden. Wir, die letzten Häftlinge von Auschwitz, haben das Recht, an dieser Stelle erneut das ‚Niemals wieder!‘ einzufordern – für die heute vom Tod bedrohten.“

Als Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, das Wort ergriff, stockte vielen der ehemaligen Häftlingen der Atem. Rose sprach deutsch. Noch dazu grüßte er den deutschen Bundespräsidenten Hort Köhler, der zwar eingeladen worden war, aber nicht das Wort ergreifen durfte. Auschwitz, so Rose, sei nicht nur das Symbol für die Shoah, sondern auch für den Völkermord an den Sinti und Roma. 1939 bis 1945 hätten die Deutschen eine halbe Million Sinti und Roma ermordet. Ganz besonders fürchterlich seien die pseudomedizinischen Untersuchungen gewesen. „Ich möchte den damaligen Alliierten dafür danken, dass sie so große Opfer auf sich genommen haben, um uns zu retten, dass sie Deutschland und Europa befreit haben von der nationalsozialistischen Diktatur.“ Papst Johannes Paul II., der nicht selbst kommen konnte, erinnerte in seiner vorgelesenen Rede an das Gute, das es selbst an diesem furchtbaren Ort gegeben habe. Dies dürfe man nicht vergessen. „Das Böse darf nicht das letzte Wort haben.“ GABRIELE LESSER