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: Hundert Aspirin und eine Flasche bulgarischen Rotweins

Um 4.48 Uhr schaut die Klarheit vorbei. Da ist Schluss mit dem „chronischen Wahnsinn des Normalen“. Zeit zum Selbstmord. 100 Aspirin und eine Flasche bulgarischen Rotweins sollen ihr heraushelfen aus einem Leben in „ferngesteuerter Bewusstlosigkeit“. Sie, das ist die Frauenfigur im Ein-Personen-Stück „4.48 Psychose“ von Sarah Kane, das zur Zeit im Kölner Theater im Bauturm zu sehen ist.

Auf einem deprimierend grünen Sofa sitzt sie, Sarahs Alter Ego, das „Kind der Verneinung“, und schildert ihre Depression. Spricht über das große Garnichts ihres Lebens: keine Freude, kein Schmerz, keine Wünsche, keine Triebe, nur totale Erstarrung. Diagnose: Pathologische Trauer. Über weite Strecken gelingen Regisseur Stefan Rogge und Darstellerin Claudia Holzapfel eine Inszenierung im rechten Maß zwischen Pathos und Kühle, zwischen Ironie und Pietät. Immerhin hat sich die Autorin mit „4.48 Psychose“ in den eigenen Selbstmord begleitet: Geboren 1971, avancierte die Dramatikerin Sarah Kane Mitte der 90er Jahre zum skandalträchtigen Shooting Star der jungen britischen Autorenszene. Am 20. Februar 1999 erhängte sie sich in einer Londoner Nervenklinik. Ihr letztes Stück „4.48 Psychose“ wurde erst nach ihrem Tod uraufgeführt.

Ihr Text gehört zu den stärksten, die das Theater der Jahrtausendwende zu bieten hat. Emotional präzise, ungeheuer phantasievoll und doch kurz angebunden, beleuchtet er eindrucksvoll die vielen Dimensionen im Innenleben der Protagonistin. Dieser Facettenreichtum prägt auch das Spiel von Claudia Holzapfel: wenn sie die Erzählerin ihre eigene Krankenakte rezitieren lässt und dabei die Namen von Medikamenten nennt, als wären sie gute Freunde; wenn sie Tobsuchtsanfälle spielt oder sich in nachgestellten Dialogen über allzu verständnisvolle Psychiater, ja sogar über Leben und Tod selber lustig macht. Immer wieder kommt dieses Stück leichtfüßig und gar nicht deprimierend im Plauderton daher, und das ist in Ordnung. Dieser bezwingende Text verträgt ein bisschen Witz und auch die eine oder andere Albernheit – trotz aller Pietät. Nur wenn sich die Regie allzu sehr ins Zeug legt, verliert die Inszenierung ihr rechtes Maß. Dann nämlich, wenn das Stück zur düsteren Musikrevue verkommt und zwei ernst blickende Herren an der E-Gitarre, die ansonsten hinten auf der Bühne herumlungern, die Protagonistin beim Absingen einzelner Passagen aus dem englischen Originaltext von „4.48 Psychose“ begleiten. Das sieht nach Schulband aus und klingt nach pubertärem Betroffenheits-Punk.

Ein wunderbarer Text, behutsam inszeniert und beherzt gespielt. Das bisschen Störsender-Musik fällt kaum ins Gewicht.Holger MÖHLMANN

„4.48 Psychose“: Theater im Bauturm Köln, Aachener Str. 26, Tel. 0221/52 42 42, nächste Vorstellungen am 3. und 12. Februar, jeweils um 20 Uhr