Berlingeschichten

Reise durch die Zeit

Der Titel „Berliner Schienennahverkehr“ beißt sich etwas mit dem Untertitel „Straßenbahn – U-Bahn – S-Bahn – Obus“, denn O-Busse auf Schienen gab es in Berlin nie. So etwas wird in dem Buch von Wolf-Dietger Machel aber auch gar nicht behauptet. Der kleine Widerspruch auf dem Cover sollte darüber nicht hinwegtäuschen, dass es sich um ein ordentlich gemachtes Buch handelt, das Informationen zusammenführt, die sonst nicht in einem Werk zu finden sind. Die Gliederung ist vielleicht deshalb etwas ungewöhnlich. Erst werden die einzelnen Verkehrsmittel abgehandelt, von ihrer Entstehung bis zum Ende der Weimarer Republik. Dann folgen an Epochen geheftete Kapitel über Nazizeit, Wiederaufbau, Teilung und die Zeit seit der Wiedervereinigung, wobei dann (sinnvollerweise) doch wieder zwei Kapitel über die Westberliner S-Bahn und besagten O-Bus abgetrennt sind.

Auch bei NahverkehrsfreundInnen weniger bekannte Informationen sind aufgenommen, so über Planungen aus der DDR-Zeit, die etwa vorsahen, die U-Bahn-Transitstrecken im Bezirk Mitte für eine ost-interne Linie umzubauen. Selbst Gerüchte werden wiedergegeben, etwa dass die S-Bahn-Gleise nach Erkner 1945 abgebaut worden seien, um bei den Demontage-Transporten in die Sowjetunion Zuschauer fern zu halten, oder dass die Stilllegung des Westberliner Straßenbahnnetzes in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch Korruption veranlasst sein könnte. Bis in die Gegenwart reichen die Beschreibungen, noch die Sanierung der U 5 zwischen Lichtenberg und Friedrichsfelde ist aufgenommen, die Ende Juni 2004 begann.

Der Band ist reich bebildert, und außer Fahrzeugen und Gleisen sind auch Menschen und ein bisschen Stadt zu sehen. Ungeschönt wird ein Foto von der Baustelle des Nord-Süd-S-Bahn-Tunnels in der heutigen Ebertstraße gezeigt. Sie ist geschmückt mit einem Transparent: „Daß wir hier bauen, verdanken wir dem Führer!“ Genau an derselben Stelle wird heute das Holocaust-Mahnmal errichtet. MATTHIAS FINK

Wolf-Dieter Machel: „Berliner Schienennahverkehr“. GeraMond, München 2004, 160 Seiten, 29,90 €