BUSH SOLLTE SEINE FREIHEITSZIELE BEWAHREN, WENN ER SIE NOCH HAT
: Es gibt nichts zu widerrufen

Die Verfallszeit von Präsident Bushs Freiheitsrhetorik war diesmal besonders kurz. Für einen Moment staunten Amerika und die Welt über seinen universellen Ruf nach Demokratie, den er zu seinem Amtsantritt verkündete. Die einen nannten ihn danach kühn, andere unrealistisch. Kaum waren die visionären Worte verhallt, beeilten sich Regierungsvertreter klarzustellen: Sorry, war nicht so gemeint. Bush machte am Mittwoch unmissverständlich klar, dass es „keinen Kurswechsel“ seiner Politik geben werde.

Nun, ein Idealist ist nicht weniger glaubhaft, weil er den politischen Realitäten ins Auge schaut. Jedem ist bewusst, dass Demokratieförderung – will man keine militärische Gewalt anwenden – ein langfristiger Prozess ist. Wer freie Wahlen in autoritären Staaten fordert, muss im diplomatischen Alltagsgeschäft dennoch realpolitisch agieren, um friedliche Beziehungen nicht aufs Spiel zu setzen. Das Weiße Haus musste also nicht widerrufen.

Um jedoch glaubhaft zu bleiben, hätte die Regierung unterstreichen müssen, dass die einzige Supermacht ein verlässlicher Anwalt von Demokratie und Menschenrechten sein will. Das gilt umso mehr, als in Bushs erster Amtszeit ein tiefer Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffte. Siehe Guantánamo, Abu Ghraib und Foltermemos aus dem Weißen Haus. Nach Bushs wortgewaltiger Rhetorik machte sich Hoffnung breit, dass er diese Kluft verringern will. Das Wort eines US-Präsidenten hat schließlich Gewicht.

Weil dies so ist, darf es nicht leichtfertig benutzt werden. Doch genau das hat Bush getan. Der Verdacht erhärtet sich, dass Freiheit weiterhin nur ein Etikett ist, um geostrategische Interessen besser zu verpacken. Wir erinnern uns: Im Irak ging es anfangs um bedrohliche ABC-Waffen. Erst als sich diese nicht fanden, wurde eine neuer Grund aus dem Hut gezaubert. Bushs „Klarstellung“ nährt somit einen bereits zu Hause und im Ausland weit verbreiteten Zynismus gegenüber seiner Politik. Selbst beste Absichten in der islamischen Welt könnten so gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zum Scheitern verurteilt sein. MICHAEL STRECK