VOLKSVERHETZUNG IST IMMER EINE FRAGE DES BLICKWINKELS
: Auf den Urheber kommt es an

Die Union will die Axt an ein uraltes demokratisches Prinzip anlegen: die freie Rede im Parlament. Sie war schon 1849 in der Paulskirchenverfassung enthalten. Schon damals galt: Kein Abgeordneter sollte sich für seine Äußerungen im Parlament strafrechtlich verantworten müssen. Zumindest unter den Volksvertretern sollte der unbeschränkte freie Diskurs gelten. So war es im Kaiserreich und so war es bis heute auch im Staat des Grundgesetzes.

Die Union will dieses Prinzip mit Blick auf die „Bomben-Holocaust“-Äußerungen sächsischer NPD-Abgeordneter einschränken. Weil es eine Ausnahme für verleumderische Beleidigungen gibt, soll es künftig eine zweite geben: Auch Volksverhetzung im Parlament soll künftig strafbar sein. Doch zwischen beiden Taten besteht ein wichtiger Unterschied. Bei der Verleumdung muss bewiesen werden, dass die Aussage falsch ist. Wann eine Äußerung als Volksverhetzung gilt, ist dagegen nur eine Frage der Wertung.

Gerade die Verharmlosung des Holocaust, ein Unterfall der Volksverhetzung, zeigt deutlich auf, wie unterschiedlich hier gewertet wird – je nachdem, ob eine Äußerung aus der Mitte der Gesellschaft oder von ihren Rändern kommt. Niemand kam auf die Idee, Joschka Fischer der Volksverhetzung zu bezichtigen, als er mit Blick auf die Vorgänge im Kosovo die Losung „Nie wieder Auschwitz!“ ausgab. Dass hierin auch eine Relativierung und Instrumentalisierung der NS-Verbrechen enthalten sein könnte, erkannten viele, doch die Diskussion wurde politisch geführt, wie es einer demokratischen Gesellschaft angemessen ist.

Ganz anders die Reaktion, als die NPD den alliierten Bomberangriff auf Dresden 1945 mit der Judenvernichtung gleichsetzte. Selbstverständlich war das ein falsches und politisch abzulehnendes Bild, das aber vor allem deshalb zu so maßlosen Reaktionen führt, weil es von ganz rechts außen kam. Ein klassisches Beispiel für Gesinnungsstrafrecht.

Die Volksverhetzung ist deshalb eines der Delikte, die im Parlament ganz sicher nicht strafbar sein sollten. Wer dies heute fordert, hätte 1849 auch die Verhaftung von Parlamentariern wegen Majestätsbeleidigung akzeptiert. CHRISTIAN RATH