Es herrscht Milde bei maximal 12 Grad

Am 23. Januar brannte der Nordturm der Göttinger St. Johanniskirche – ein Schock für die Bevölkerung. Knapp eine Woche später feierte die Gemeinde einen Dankgottesdienst im noch feuchten Gewölbe. Im Zentrum der Predigt von Pfarrer Rudolf Grote: Die Frage nach dem Umgang mit den Brandstiftern

von Holger Schleper

Eine Woche ist seither vergangen. Und wieder reihen sich Feuerwehr- und Rettungswagen vor der Kirche aneinander. Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrmänner bilden einen Pulk vor dem Gotteshaus, aus dem die reflektierenden Streifen an ihren Jacken immer wieder hervorblitzen. Am Seiteneingang der Kirche steht der Pfarrer. Seinen Gesichtszügen ist heute Dankbarkeit zu entnehmen. Als er die Rettungskräfte das letzte Mal gesehen hatte, war er schockiert.

Der Brand des Nordturms der Sankt Johanniskirche von Göttingen hat die Gemüter in der Studentenstadt zutiefst erregt. Zwei Jugendliche hatten das Feuer gelegt. Allein dem schnellen Eingreifen der nun vor der Kirche Versammelten war es zu verdanken, dass die Flammen sich nicht ausbreiten konnten und der Turm stabil blieb. Nun bietet sich den Göttingern ein trostloses Bild. Verkohlte Eichenbalken thronen über der Stadt, das Wahrzeichen ist entstellt.

Pfarrer Rudolf Grote begrüßt die Hereinkommenden mit einem festen Händedruck, lächelt. In seinem Rücken schlängelt sich ein Metallzaun vor den hinteren Sitzbänken entlang. Dieser Teil der 650 Jahre alten Kirche ist noch nicht wieder zu betreten, hat stark gelitten unter dem Löschwasser, das durch das baufällige Dach gelaufen war. Viele der Gottesdienstbesucher klopfen dem Pfarrer auf die Schulter, sprechen aufmunternde Worte. Dann gehen sie ein paar Schritte und verharren. Ihre Blicke wandern hinauf ins Kirchengewölbe und zur gerade erst restaurierten Orgel. Immer wieder ist Murmeln zu vernehmen: „Gott sei Dank ist der Turm nicht …“ oder „Stell dir mal vor, die Orgel … .“ Eine ältere Frau reibt mit dem Fuß prüfend über den Holzparkettboden, der im Kirchenschiff verlegt ist, beugt sich nach vorne: “Sieht ja ganz okay aus der Boden“, sagt sie zu ihrer Begleiterin. Zehn Zentimeter hoch hatte hier das Wasser gestanden.

Die Rettungskräfte betreten geschlossen die Kirche. Sie wollen sich gerade in den vorderen Reihen im Kirchenschiff niederlassen, als ein Gemeindevertreter herbeieilt. „Dieser Gottesdienst ist für Sie, bitte gehen Sie in den Altarraum“, fordert er mit Nachdruck. Entlang der gesamten Wand rund um den weitläufigen Altarraum sind Stühle aufgestellt. Es scheint, als bildeten die Einsatzkräfte einen schützenden Kreis um den Gemeindepfarrer.

Alle Besucher sind auffallend warm angezogen. In der Kirche ist es kalt. Das Gewölbe muss behutsam trocknen, deshalb darf nur auf maximal zwölf Grad geheizt werden. Rudolf Grote hat das passende Gegenmittel: „Wir werden heute mal im Stehen singen“, sagt er. Überhaupt neigt der graumelierte, brilletragende Pfarrer nicht dazu, im großen Stil zu Klagen. Und das, obschon der Brand so kurz vor den fast abgeschlossenen, millionenschwere Restaurierungsarbeiten an der Kirche ausgebrochen war.

In seiner Predigt lobt Grote immer wieder das engagierte Eingreifen der Helfer und hebt heraus, dass man merke, wie sehr ihnen dieses Bauwerk am Herzen liege. Dann bekommt seine Rede eine bemerkenswerte Wendung. Schon am Vortag hatte er beklagt, dass der Groll in der Bevölkerung gegen die Brandstifter enorm sei. „Was ich alles gehört habe, was man mit den beiden anstellen solle“, hatte Grote ein wenig ungläubig erzählt. Und immer wieder diese Urteile über die schlimme Jugend. “Diese Tat ist sicher kein Gütesiegel der heutigen Jugend“, sagt Grote. Dennoch, das Problem sei eher, dass hier zwei Menschen der Werterahmen fehle. Aber der fehle auch denen, die überharsche Strafen fordern.

In der Predigt fragt Grote: „Auch wenn die Wut groß ist, ist zu fragen, wo den Tätern geholfen werden kann. Ihre Karriere muss doch nicht so weitergehen.“ Zum Brandstifter, so hatte der Pfarrer schon vorher festgestellt, werde man nicht geboren. In Göttingen ist jetzt Aufbauarbeit zu leisten, an vielen Stellen.