Pop-Ikone unter der Lupe

Im kalifornischen Santa Maria beginnt heute der Prozess gegen Michael Jackson. Dem Sänger wird vorgeworfen, einen 13-jährigen Jungen missbraucht zu haben. Auftakt zu einem Medienspektakel

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Wenn heute der Prozess gegen Michael Jackson beginnt, dann sind alle Zutaten für ein Spektakel erster Güte vorhanden. Der bizarrste lebende Popstar als mutmaßlicher Pädophiler. Ein Opfer mit einer zwielichtigen Mutter. Ein dubioser Ankläger. Ein eitler Jackson-Familienklan, der die Rassismuskarte spielt. Und eine wild gewordene Presse.

Dem verblassenden „King of Pop“ wird vorgeworfen, einen 13-jährigen Jungen entführt, mit Drogen gefügig gemacht und sexuell missbraucht zu habe. Ein Jahr lang dauerten die Prozessvorbereitungen. Vier Wochen dürfte nun allein die Auswahl der Jury in Anspruch nehmen. Die anschließende Beweisaufnahme, sagen Kenner der Materie, könnte sich bis zu fünf Monate hinziehen. Jackson ist wohl der prominenteste internationale Star, dem jemals der Prozess gemacht wurde. Auch wenn Jacksons Hochzeit in den 80ern mit Alben wie „Thriller“ und „Bad“ lag, bleibt er – vor allem in Asien – weiterhin eine Pop-Ikone.

Harmloser Peter Pan?

Seit langem sieht sich „Jacko“ dem Verdacht des Kindesmissbrauchs ausgesetzt. Sein mit Attraktionen wie Privatzoo und Achterbahn ausgestattetes Anwesen würde er nur benutzen, so glauben die Ankläger, um Kinder anzulocken. Fans hingegen sehen in ihm lediglich einen Wohltäter, einen harmlosen Peter Pan.

Erstmals wurde Jackson 1993 von einem ebenfalls 13 Jahre alten Jungen beschuldigt, ihn sexuell missbraucht zu haben. Er zahlte ihm in einer außergerichtlichen Einigung 20 Millionen Dollar. Im November 2003 erstattete ein anderer Junge Anzeige. Jackson wurde verhaftet, verhört und gegen eine Kaution von 3 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt.

Auch zu diesem Verfahren werden tausende treue Fans erwartet, die von der Unschuld ihres Idols überzeugt sind. Sie werden Aktivisten von Organisationen gegen Kindesmissbrauch gegenüberstehen. Der kleine Ort Santa Maria, 300 Kilometer nordwestlich von Los Angeles, dürfte sich in den kommenden Wochen in ein mediales Zelt- und Containerlager verwandeln.

Nach dem letzten Stand der Dinge sind Kameras für die Anhörungen nicht zugelassen. Reporter dürfen jedoch im Gerichtssaal sein, wenn der jugendliche Kläger öffentlich aussagen soll – einen Auftritt, den die Staatsanwaltschaft ursprünglich nur hinter verschlossenen Türen zulassen wollte. Hauptzeugen werden neben dem Jungen selbst dessen Bruder, Schwester und Mutter sein. Als Beweismaterial wurden nunmehr auch Bücher, Zeitschriften und Videos mit „sexuellen Inhalten“ zugelassen, die während einer Razzia auf Jacksons „Neverland Valley Ranch“ beschlagnahmt wurden. In einem Magazin fanden die Ermittler neben Jacksons Fingerabdrücken auch die des Jungen. Die Richter erlaubten den Anklägern zudem, während des Prozesses eine BBC-Dokumentarfilm vorzuführen, in der Jackson die Hand des Jungen hält und erklärt, dass Kinder häufig auf seiner Ranch übernachten und auch das Bett mit ihm teilen.

Dreiste Lügengeschichten?

Für Chefankläger Tom Sneddon sind dies sichere Indizien, die Jackson überführen sollen. Die Verteidigung glaubt jedoch, mehrere Trümpfe in der Hand zu halten, die den Fall als „dreiste Lügengeschichte“ entlarven, um Geld von Jackson zu erpressen. So einigte sich die Mutter des betroffenen Jungen vor drei Jahren mit einer Kaufhauskette auf eine Schadensersatzsumme von 130.000 Dollar, nachdem sie behauptet hatte, dass ihr Kind von einem Geschäftsangestellten sexuell belästigt wurde. Sie gab ferner Ermittlern zu Protokoll, die 2003 staatliche Unterhaltszahlungen prüften, dass Jackson sich stets korrekt verhalten habe. Unklar ist auch, warum zwischen dem angeblichen Missbrauch und der Anzeige gegen Jackson Monate vergingen, während der betroffene Junge dem Musiker im besagten BBC-Film noch für dessen Hilfe bei der Behandlung einer Krebskrankheit dankte.

Jacksons Anwälte werfen Sneddon außerdem vor, eine persönliche Rechnung mit ihrem Mandanten begleichen zu wollen. Anfang der 90er versuchte er schon einmal, dem Sänger sexuellen Missbrauch nachzuweisen, jedoch erfolglos. Anschließend verspottete Jackson ihn in einem Lied.

Sollte Jackson verurteilt werden, drohen ihm nicht nur 20 Jahre Haft, sondern auch der dramatischste Absturz eines Weltstars. „Dies ist nicht Designkönigin Martha Stewart, die die Regierung belog“, sagt Todd Boyd, Fachmann für Popkultur von der University of Southern California. „Es geht um Kindesmissbrauch. Wenn er für schuldig befunden wird, ist er erledigt. Ein für alle Mal.“