Saalschlacht statt geplanter Erneuerung

Klare Anzeichen der eigenen Demontage: Der Parteikongress der türkischen Opposition endet im Handgemenge

ISTANBUL taz ■ Wenn sich die regierende AK-Partei von Ministerpräsident Tayyip Erdogan durch die oppositionelle CHP jemals bedroht gefühlt hat, kann sie sich jetzt in aller Ruhe zurücklehnen. Auf ihrem Parteikongress am Wochenende hat die altehrwürdige Republikanische Volkspartei sich endgültig demontiert. Was als Erneuerungsparteitag gedacht war, endete in einer Saalschlacht. Nach den Reden des Herausforderers Mustafa Sarigül und des amtierenden Parteichefs Deniz Baykal – beide gespickt mit Provokationen – gingen die Anhänger der Redner aufeinander los. Zunächst flogen die Fäuste, dann die Stühle, und zuletzt musste die Polizei aufmarschieren, um die Kampfhähne zu trennen.

„Blutiger Parteitag“ und „Aus Republikanischer Volkspartei wird Republikanische Kriegspartei“ titelten die türkischen Zeitungen am gestrigen Sonntag. Nach dem Desaster kam es dennoch zur Abstimmung um den Vorsitz, die Baykal eindeutig im Amt bestätigte. Damit ist der Aufstand innerhalb der CHP beendet, die Schlacht im wörtlichen Sinne geschlagen, und zurück bleibt eine Partei in Trümmern. Vermutlich wird Sarigül mit einem Teil seiner Anhänger die Partei verlassen. Auch andere wie der Sänger und Schriftsteller Zülfü Livaneli, die vor dem Parteitag noch um inhaltliche Auseinandersetzung bemüht waren, werden sich wohl resigniert zurückziehen.

Dieser Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung innerhalb der türkischen Sozialdemokratie zeigt außer der personellen Misere innerhalb des Führungskaders die strukturellen Probleme der traditionellen parlamentarischen Linken in der Türkei auf. Während die konservativ-religiöse rechte AKP die EU-Frage geschickt zum eigenen Anliegen macht und sich in diesem Zusammenhang auch in Menschenrechts- und Minderheitenfragen flexibel zeigte, repräsentiert der CHP-Parteichef den schlimmsten Betonkopf-Kemalismus, der sich gerade mal noch auf einen Teil der Bürokratie und des Militärs stützen kann. Damit ist die CHP weit entfernt von einer modernen Sozialdemokratie und kann sich gegenüber der AKP nur mit dem strikten Festhalten am Laizismus profilieren.

Das aber wird, solange die AKP nicht plötzlich einen religiösen Durchmarsch versucht, auf die Dauer kaum reichen. Die Türkei wird sich wohl auf eine lange Phase von AKP-Regierungen einstellen müssen, bis eine inhaltliche Erneuerung der parlamentarischen Linken Erfolg haben kann. JÜRGEN GOTTSCHLICH