Boliviens besser Verdienende für Autonomie

Präsident Mesa lenkt im Streit um Autonomie der wohlhabenden Provinz Santa Cruz ein und verspricht Referendum

BUENOS AIRES taz ■ Am Freitag morgen war Santa Cruz, Boliviens größte und reichste Stadt, in ein weiß-grünes Fahnenmeer getaucht – die Farben der gleichnamigen Provinz. Für das Bürgerkomitee der Provinz, ein bunter Club, von Unternehmerverbänden über Gewerkschaften bis zu Indigena-Organisationen, war Großkampftag. Die Aufsässigen verlangen von der Zentralregierung mehr Autonomie und hatten zur außerordentlichen Regionalversammlung geladen, zu der über 100.000 Menschen kamen.

„Seid ihr damit einverstanden, dass sich heute eine Versammlung bildet, die uns vertritt und den Prozess anführt, der zur totalen Autonomie der Provinz Santa Cruz führt?“, rief Rubén Costas, Anführer der Unabhängigkeitsstreiter. Das Raunen der Menge wurde als „Ja“ interpretiert. In zwei bis drei Monaten will das Bürgerkomitee die ersten Gouverneurswahlen in Bolivien vorbereiten. Bislang verfügt die nach der Unabhängigkeit 1825 beschlossene, zentralistische Verfassung, dass die Zentralregierung die Provinzgouverneure einsetzt.

Zwar plant Präsident Carlos Mesa für das zweite Halbjahr eine verfassunggebende Versammlung, auf der auch eine Verwaltungsreform verabschiedet werden soll. Doch so lange will man in Santa Cruz nicht auf Autonomie warten. Wochenlang herrschte in der wirtschaftlich bedeutenden Provinz der Ausnahmezustand. Demonstranten blockierten Straßen und besetzten Gebäude der Zentralregierung. Mesa war machtlos gegen den Aufstand der besser Verdienenden Boliviens, obwohl die Streitkräfte versichert hatten, dass sie nur Befehle des Staatschefs annehmen würden. Mesa amtiert seit Oktober 2003, nachdem sein Vorgänger bei Protesten gestürzt worden war.

Den Forderungen der Autonomisten von Santa Cruz musste Mesa am Ende nachgeben. Er versprach bis April ein Referendum abzuhalten, indem die Bolivianer über mehr Autonomie für die Provinzen abstimmen. Spätestens dann wird in Santa Cruz wieder die weiß-grüne Fahne geflaggt. Die Provinz ist die wirtschaftlich wichtigste des Landes. Fast ein Drittel des bolivianischen Inlandsprodukts wird dort erwirtschaftet, über die Hälfte aller Exporte des Landes kommen von dort. Im Süden der Provinz lagern reichhaltige Erdöl- und Gasvorkommen. Die Gasfelder von Camiri gelten als die reichsten von ganz Südamerika. Während des Kokainbooms in den 80er-Jahren verzeichnete Santa Cruz dank Geldwäsche und Drogenlabors ein enormes Wachstum.

Aber nicht alle in Bolivien stehen hinter der Autonomieforderung. Am Freitag wurde in mehreren Städten, vor allem im verarmten Hochland, für die nationale Einheit demonstriert. Auch der Oppositionspolitiker Evo Morales schloss sich der Forderung nach nationaler Einheit an. Morales, Koka-Gewerkschafter und Kopf der Bewegung für den Sozialismus (Mas) unterstützt Mesas Vorschlag nach einer verfassunggebenden Versammlung. „Bolivien muss neu gegründet werden, um sich zu vereinen, aber ohne Diskriminierung, Ausbeutung und Armut“, so Morales. INGO MALCHER