Der Geschmack am Siegen

Das Team des Gastgeberlandes Tunesien sorgt bei der Handball-Weltmeisterschaft für gewaltige Begeisterung und will nach dem souveränen Gruppensieg in der Vorrunde unbedingt ins Halbfinale

AUS NABEUL FRANK KETTERER

Am Tag danach hatte La Presse, die wichtigste französischsprachige Zeitung im Land, auf ihrer Titelseite Folgendes in dicken Schlagzeilen zu vermelden: Erstens: Präsident Ben Ali hat sich mit seinen Ministern getroffen, um über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa zu beraten. Zweitens: Der Demokratisierungsprozess im Land macht weiter beste Fortschritte. Und schließlich drittens: Die tunesische Nationalmannschaft hat im eigenen Land die Hauptrunde der Handball-Weltmeisterschaft erreicht.

Weiter hinten, im Sportteil, fand die wunderbare Geschichte der Handballer Tunesiens gleich auf zwei Seiten ihre Fortsetzung: „Pflicht erfüllt, und sogar ein bisschen mehr“, durfte der Kommentator dort nicht ohne Stolz feststellen. Und auch Saad Hassan Fendic, der Trainer der tunesischen Mannschaft, nutzte die Gunst der Stunde und ließ das Volk wissen: „Wir haben Geschmack am Siegen gefunden und wollen den Erfolg weiter auskosten.“

Man hat diese Worte mit großer Freude aufgenommen im Land. Denn Handball ist in diesen Tagen das bestimmende Thema in Tunesien. Und auch wenn von einem richtigen Fieber noch nicht die Rede sein kann, so ist doch überall zumindest ein großes Interesse zu spüren. Vor den TV-Geräten der Cafés, Bars und Hotels sitzen junge Männer, trinken Kaffee oder rauchen eine Wasserpfeife – und schauen schon nachmittags Handballspiele, auch die der anderen Teams. Wenn es dann gar die eigene Mannschaft ist, die da auf Torejagd geht, steigert sich das Interesse schnell in eine hitzige Begeisterung, und nicht nur in der „Halle 7. Novembre“ in Rades, wo das tunesische Team seine Spiele austrägt, beginnt die Stimmung zu köcheln. Ihre Handballer sind den Tunesiern ans Herz gewachsen, und mit jedem Erfolg wächst die Liebe ein Stückchen mehr – und die Erwartungen natürlich auch. Nach einer nicht ganz repräsentativen Umfrage unter Tunesiens Taxifahrern und Kellnern erwarten mittlerweile satte 100 Prozent ihre Mannschaft mindestens im Halbfinale des Turniers.

So weit ist es natürlich noch nicht, Grund, stolz auf sie zu sein, hat die Mannschaft ihren Fans aber ausreichend gegeben: Erst ein Unentschieden gegen einen Topfavoriten, den aus Frankreich, dann besiegte sie gar mit Dänemark einen anderen. Am Ende brachten 8:2 Punkte Platz eins in Gruppe A. In der Hauptrunde warten Tschechen, Slowenen und Russland auf die Gastgeber, zumindest die ersten beiden Teams können nach den bisherigen Erkenntnissen als bezwingbar bezeichnet werden. „Ich hätte nicht gedacht, dass die so weit sind“, fasste Frankreichs Star Jackson Richardson sein Erlebnis mit den Tunesiern zusammen und folgerte: „Die können jeden Gegner schlagen.“

Warum auch nicht? Schließlich zelebriert die Mannschaft von Trainer Hassan Fendic einen ebenso schnellen wie modernen Handball, bestens eingespielt ist sie ohnehin. Rund 250 Tage soll Fendic, der auch schon den VfL Gummersbach trainiert hat, den Kern seiner Mannschaft im letzten Jahr um sich gehabt haben; für den Trainer ist es ein Vorteil, dass die meisten seiner Männer in der heimischen Liga spielen. Nur fünf von ihnen verdienen ihr Geld im Ausland, vornehmlich in Frankreich, unter ihnen auch Issam Tej, Kreisläufer und einer der Stars im Team. Dies könnte sich nach dieser WM freilich schnell ändern, vor allem Wissem Hmam, die sprunggewaltige Tormaschine aus dem Rückraum, sowie die beiden bislang bärenstarken Torhüter Makram Missaoui und Marouen Mgayez dürften beim ein oder anderen europäischen Top-Club, auch aus der Bundesliga, Begehrlichkeiten geweckt haben.

„Das Wichtigste ist, dass wir realisiert haben, wie gut wir sind“, fasst Sahbi Ben Aziz die Erkenntnisse aus der Vorrunde zusammen; und Dhaker Sboui, mit knapp 200 Länderspielen der erfahrenste Akteur im Team, lässt zumindest erahnen, dass er und die Mannschaft das gewachsene Selbstvertrauen mit aller Macht zu mehr nutzen wollen. „Wir haben eine Mission“, sagt der 28-Jährige.

Genau genommen handelt es sich bei dem ganzen Turnier um eine solche: Tunesien möchte der ganzen Welt zeigen, dass ein afrikanisches Land durchaus in der Lage ist, eine solche Großveranstaltung zu stemmen. Schon deswegen wurde die WM, die man den Deutschen beim IHF-Kongress vor drei Jahren mit 46:44-Stimmen vor der Nase wegschnappte, von Anfang an zur Regierungssache erklärt. Präsident Ben Ali setzte dem eigentlichen Organisationskomitee des tunesischen Handballverbandes ein zusätzliches, übergeordnetes „Haute Comité d’Organisation“ vor die Nase, dessen Boss Sportminister Abdallah Kaabi persönlich ist. Die Männer und Frauen waren durchaus rührig. Die Halle in Rades, die 14.000 Zuschauer fasst, wurde für rund 35 Millionen Euro in nur 16 Monaten aus dem Boden gestampft und gilt als modernste Arena Nordafrikas, auch an allen anderen Spielorten wurde die Infrastruktur mit erheblichem finanziellem Aufwand modernisiert. Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, wurden 1.500 freiwillige Helfer rekrutiert. Ihr Ziel ist das Ziel aller Tunesier: „Wir wollen die beste bisher durchgeführte Weltmeisterschaft ausrichten.“