Der Handlanger ist immer dabei

Viele Behinderte sind hochqualifiziert, der Arbeitsalltag jedoch ist voller Barrieren. Der Kölner Jurist Carl-Wilhelm Rössler hat zur Bewältigung seines Jobs eine „Arbeitsassistenz“, die ihm zur Hand geht

Von Claudia Lehnen

Im Sozial- und Arbeitsrecht bewegt er sich mit tänzerischer Leichtigkeit. Wenn es aber um die alltäglichen Handgriffe geht, scheitert Carl-Wilhelm Rössler in vielen Fällen. Arme und Beine haben den Juristen schon in frühster Kindheit im Stich gelassen, der 37 Jahre alte Mann sitzt im Rollstuhl. Er kann nicht mal eben schnell vom Stuhl springen, zum Schrank eilen und auf den Zehenspitzen wippend die gesuchte Akte aus dem obersten Fach ziehen. Er kann nicht mal schnell ein paar Seiten kopieren, während er auf den Aufzug wartet, um in den ersten Stock zu gelangen.

Damit der beim Zentrum für Selbstbestimmtes Leben beschäftigte Rössler und rund hundert weitere Behinderte im Rheinland trotzdem einen Beruf ausüben können, finanziert der Landschaftsverband Rheinland (LVR) sogenannte Arbeitsassistenzen, die Behinderten am Arbeitsplatz zur Hand gehen.

Carl-Wilhelm Rössler ist kein Mann für alltägliche Kleinigkeiten. Wäre er Handlanger von Beruf, es stünde schlecht um ihn. Aber Rössler ist Jurist, da muss er Paragraphen kennen, beraten und vor allem überzeugen können. In diesen Disziplinen ist Rössler sicher. „Man wählt seinen Beruf ja schließlich auch in Bezug auf die Behinderung“, sagt er.

Trotzdem braucht er Menschen, die ihm am Arbeitsplatz Akten anreichen, die für ihn kopieren gehen, die ihn zur Arbeit fahren, sein Notebook aufstellen. „Ohne Arbeitsassistenzen könnte ich meinen Beruf nicht ausüben“, sagt Rössler. Zwar gebe es heutzutage auch technische Bürohilfen wie zum Beispiel den Akten-Rollator, der rotiere und so gewünschte Akten in Griffhöhe bewegen könne. Eine adäquate Lösung stellen diese Spielereien nach Meinung Rösslers allerdings nicht dar. Zu lange würde all das dauern. „Ohne Assistenten wäre ich ineffizient. Im Endergebnis muss ich natürlich ebenso schnell sein wie andere auch. Sonst werde ich zu teuer.“

Früher, als Rössler noch Student und dann Referendar beim Landgericht Köln war, vermittelte ihm das Rote Kreuz die Assistenzen. Heute läuft alles unter dem Arbeitgebermodell. Das heißt: Rössler bekommt ein persönliches Budget vom Integrationsamt des LVR, dann sucht er selbst aus, stellt selbst ein. Aus Gründen der Selbstbestimmung sei dieses Modell natürlich begrüßenswert. Schließlich gehe es bei Arbeitsassistenzen ja auch immer um Vertrauen.

„Bei mir sind da häufig auch Freundschaften entstanden“, sagt Rössler. Im Moment beschäftigt er drei Studierende und zwei junge Menschen, die gerade ihr Studium beendet haben. Wirklich alleine ist Rössler nie. Auch im Moment sitzt sein Helfer im Nebenraum, erledigt Arbeit für die Universität und wartet darauf, dass Rössler einen Arm oder zwei Beine braucht.

Ziel der Arbeitsassistenzen ist es nach Auskunft des Integrationsamtes des LVR, behinderten Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, auch wenn sie wegen ihrer Behinderungen bestimmte Handreichungen am Arbeitsplatz nicht ausführen können. Meist handle es sich um Menschen, die körperbehindert sind, nicht hören oder sehen können. „Menschen mit hohen Qualifikationen finden so ihren Platz im Arbeitsleben, den sie ohne Assistenz nicht ausfüllen könnten“, sagt Uwe Steinkrüger vom Presseamt des LVR.

Um dieses Ziel zu erreichen, wendet das Integrationsamt des Landschaftsverbandes jährlich etwa eine halbe Million Euro auf. In den vergangenen vier Jahren wurden für dieses Förderinstrument 1,8 Millionen Euro bewilligt. Rössler ist froh darüber, dass im Nebenraum immer ein Assistent sitzt. Denn nicht immer werde eine Arbeitsassistenz bewilligt. Gesetzlich sei vorgeschrieben, dass ein Assistent nur dann zum Einsatz komme, wenn Kollegen eventuelle Hilfen nicht übernehmen könnten. „Ein Bekannter wartet auf diese Weise manchmal zwei Stunden darauf, dass jemand vorbeikommt, der ihm einen Ordner holen kann“, sagt Rössler. Effizient sei das nicht. Außerdem trage es nicht gerade zum Klima am Arbeitsplatz bei, wenn einer immer von den anderen abhängig ist. „Man kann dann nie mit seinen Kollegen streiten. Später braucht man sie schließlich wieder, weil einem vielleicht gerade der Bleistift herunter gefallen ist.“