In den Ruinen von Darfur

In der Kriegsprovinz hungern ausgebombte Dorfbewohner und sinnen Kindersoldaten auf Rache für die Ermordeten

MOUSBET taz ■ An einem Lagerfeuer vor einer zerstörten Hütte des Dorfes Mousbet sitzt Issar Mohammed. Er zieht sich seine Kamelhaardecke enger um seine Schultern und streckt seine Finger dem Feuer entgegen, um sich vor dem eisigen Nachtwind zu schützen. Neben ihm liegt eine Kalaschnikow, an seinem Oberarm hat er ein Messer befestigt. Er spielt mit einer Handgranate, wirft sie von einer Hand in die andere. Um seinen Hals, den Oberkörper und seine Hüfte baumeln an Kordeln und Schnüren aufgereihte Lederbeutel, die mit Koransuren gefüllt sind – Issar glaubt, dass sie ihn vor den Kugeln des Feindes beschützen werden, wenn er in der Sudan Liberation Army (SLA) in Darfur kämpft. Issar ist 15.

Vor einem Jahr flog die sudanesische Luftwaffe Angriffe auf Issars Dorf Anka. Sein Vater kam dabei ums Leben, seine Mutter floh mit seinen beiden Schwestern in den Tschad. „Ich musste zurückbleiben“, erzählt Issar. „Wir hatten nicht genug Esel, um die ganze Familie, Wasser und Essen zu tragen. Meine Geschwister waren zu jung, um hier alleine überleben zu können.“ Also blieb er zurück und schloss sich den Rebellen der SLA an. „Ich wollte meinen Vater rächen. Die SLA gibt mir die Möglichkeit“, sagt er und seine Augen blitzen. Issar zeigt auf seine Lederbeutel: „Mich kann keiner töten.“

In Mousbet reiht sich eine zerstörte Hütte an die andere. Vor einer steht die zwölfjährige Heida Ahmed Sherif und blickt auf die Trümmer, die einmal ihr Zuhause waren – zerbrochene Emailleschüsseln und ausgebrannte Bettgestelle ragen aus dem Schutt. Sechs Monate ist es her, dass diese Hütte während eines Regierungsangriffs zerstört wurde. Seither vegetieren Heida und ihre Familie unter einem Baum etwa einen Kilometer vom Dorf entfernt in einem Unterstand aus Ästen und Plastikplanen, die weder vor sengender Sonne noch vor Sandstürmen schützen. Gegessen wird einmal am Tag: Ein bisschen Hirse, ein paar Erdnüsse und manchmal eine Wassermelone müssen für sechs Personen reichen.

„Wir gehen nicht zurück“, sagt die 12-Jährige mit gesenktem Blick. „Wir haben Angst, dass dann wieder Bomben fallen oder die Janjaweed (von der Regierung unterstützte Milizen. Anm. d. Red.) zurückkommen, um uns zu töten.“ Nur zum Wasserholen wagen sie sich in ihr Dorf hinein.

Mousbet ist kein Einzelfall. Auch das Dorf Farawija wurde vor sechs Monaten zerstört. 15 Minuten entfernt, am Fuße eines Hügels, liegen die von der Sonne ausgetrockneten und mumifizierten Überreste von elf Menschen. Tiere haben die Leichen angefressen. Knochen und Totenschädel bleichen unter der Saharasonne. Patronenhülsen liegen auf dem steinigen Untergrund verstreut. Ein SLA-Mann erzählt, dass die Männer von ihren Mördern an diese abgelegene Stelle gefahren, in zwei Gruppen aufgeteilt und dann hinterrücks erschossen wurden. Auf Hemden und Hosen der Opfer sind immer noch getrocknete Blutflecken zu erkennen.

Im gelben Sand am Stadtrand von Farawija liegt eine graue Fliegerbombe russischen Typs – ein Blindgänger. Wenige Schritte entfernt klafft ein Bombentrichter von neun Meter Durchmesser im Boden. Sudans Luftwaffe besitzt nur Antonows, alte russische Bomber, die für den Bombenabwurf nur eine Luke besitzen. Sie sind völlig ungeeignet zur gezielten Bekämpfung von Rebellen, da die Abwürfe relativ unpräzise erfolgen und somit eher wahllose Verwüstung anrichten.

Die Rebellen gehen davon aus, dass das Schlimmste in Darfur noch bevorsteht. „Jeder Junge, der eine Waffe halten kann, wird bereit sein, für unsere Sache zu sterben“, prophezeit Sulemein Mohammad Jamous, humanitärer Koordinator der SLA, und träumt von 200.000 Kämpfern, die bis in die sudanesische Hauptstadt Khartum marschieren. „Die Zivilbevölkerung ist die SLA“, sagt er. Issar wird noch viele Möglichkeiten haben, seinen Vater zu rächen. CARSTEN STORMER