Herr der Entdecker

Er schreibt aggressiv für den Klimaschutz und kritisiert, dass die Bush-Regierung nicht an den Treibhauseffekt glaubt. „Engstirniger Ideologe“, ätzt ein Gegner

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Montagmittag. Donald Kennedy hat gerade fünf Stunden Flug, vier Stunden Schlaf und zwei Stunden Besprechung hinter sich. Doch er wirkt ausgeruht. Kaffee braucht er nicht. Er trinkt Wasser. Die Beine übereinander geschlagen und die Hände darauf gefaltet, sitzt der Mann mit den markanten Stirnfalten fast bewegungslos, jedoch mit forschendem Blick auf dem unbequemen Stuhl. Nur gelegentlich, wenn er über Klimawandel, seine Folgen und die Ignoranz der Regierung gegenüber der Wissenschaft spricht, fängt er an mit den Händen zu gestikulieren.

Kennedy ist einer der weltweit einflussreichsten Chefredakteure. Der 73-Jährige wacht über die Veröffentlichungen im Wissenschaftsmagazin Science. Er entscheidet darüber, ob die Entdecker der Welt Beachtung finden. Lehnt er die Forschungsergebnisse ab, haben sie allenfalls noch bei den Konkurrenten von Nature eine Chance. Ist er von etwas überzeugt, wie vom Treibhauseffekt, ist er ein einflussreicher Verstärker.

Nichts an Donald Kennedy oder in seiner Umgebung verrät seine Macht. Sein Anzug ist unauffällig. Er hat ein bescheidenes Büro. Der Blick aus dem Fenster fällt auf eine hässliche Betonfassade in der Innenstadt Washingtons. Sein Schreibtisch ist aufgeräumt. Er selbst scheint mit sich völlig im Reinen. Demütig genießt er seinen Job.

Normale Arbeitstage gibt es für ihn nicht, erzählt er zufrieden. Der wöchentliche Erscheinungsrhythmus des Magazins liegt in vielen Händen. „Ich mache meist Dinge die unabhängig vom Produktionsfahrplan des Magazins sind.“ Fixpunkte sind lediglich montags eine Besprechung mit seinen Stellvertretern, dienstags das „Space-Meeting“, in dem jeder Redakteur Artikel für die kommende Ausgabe vorschlägt und Reaktionen auf jüngste Veröffentlichungen besprochen werden, mittwochs zwei Stunden Planungstreffen und freitags das Kommentartreffen. Nur ein Drittel der Woche ist verplant.

Den Rest der Zeit verbringt er zumeist damit, sich mit Autoren oder Redakteuren persönlich zu beraten. Vor allem, wenn es zu „kleine Krisen“ kommt, ist sein Einsatz als Mediator und Therapeut gefragt. Wenn zum Beispiel ein Artikel angefochten wird oder Autoren sich beklagen, dass ihr Text schlecht redigiert wurde, dann kniet er sich schon mal selbst in eine Geschichte hinein.

Die Qualität des Magazins zu garantieren ist für ihn die größte Herausforderung. Sicherzustellen, dass Fehler vermieden und nur die besten Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Wenn er sagt, dass es aufregend ist, die Verantwortung für ein Magazin mit dieser Tragweite zu haben, dann klingt es nicht sensationell. Allenfalls ehrfürchtig. „Jede Woche werden mir neue Erkenntnisse präsentiert: kontroverse, unerwartete, aufregende. Und ich halte staunend inne, was sie für Konsequenzen haben werden.“

Kennedy ist sich seiner Macht bewusst, Herr über wissenschaftlichen Ruhm zu sein, über Forscherkarrieren und Fachgebiete, deren Popularität mit der Zahl an Veröffentlichungen im Blatt sinkt oder steigt. „Das lässt einen sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst werden“, sagt er. Diskretion verbietet ihm, konkrete Beispiele zu nennen, doch anhand der veröffentlichten Artikel lassen sich bevorzugte Forschungsbereiche erkennen: Klimawandel, Genetik oder Weltraumerkundung. In den fünf Jahren an der Spitze von Science hat er gelernt, sich doppelt abzusichern, seine 24 Fachredakteure zu konsultieren, wenn Artikel auf seinem Schreibtisch landen, von denen er denkt, dass sie revolutionär sind. Er kennt seine Schwäche: sich manchmal ohne Reißleine zu enthusiastisch in neue Projekte stürzen.

Dieser Wesenszug hat ihm aber auch eine „seltsame Karriere“ beschert, wie er sagt. Aufgewachsen im ländlichen Neuengland, wo er als Kind Vögel beobachtete und Insekten sammelte, studierte er Biologie in Harvard und wurde danach Professor an der Eliteschmiede Stanford in Kalifornien. Ende der 70er-Jahre bekam er Lust auf die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Er arbeitete in Wissenschaftsbeiräten, dann als wissenschaftlicher Berater für Präsident Gerald Ford. Dessen Nachfolger Jimmy Carter berief ihn als Kommissar der Zulassungsbehörde für Lebens- und Arzneimittel. Anschließend kehrte er nach Stanford zurück, war zwölf Jahre Präsident der Universität, bevor er dort an das „Center for Environmental Science and Policies“ ging. Einen Schritt, den er aufgrund seines wachsenden Interesses für Umwelt- und Klimaschutz unternahm. Irgendwann bekam er den Anruf von Science. „Es war mein Traumjob. Alles was ich bisher gemacht hatte, Forschung, Lehre und Politik, konnte ich auf einmal verknüpfen.“

Die schönsten Momente sind für ihn immer dann, wenn alle zusammensitzen und den „Durchbruch des Jahres“ bestimmen. Sein persönlicher Höhepunkt war dieses Mal eine Serie über RNA-Moleküle. Er fängt an zu schwärmen, verliert sich in Details, wenn er erzählt, dass diese regulieren, wie sich Gene ausbilden, die man bislang für die Blaupause des Lebens gehalten hat, die aber offenbar das Potenzial haben, sich in verschiedene Richtungen zu entwickeln. Begeistern konnte er sich auch für die Fortschritte in der Weltraumforschung und die Roboter auf dem Mars. Die dunkelsten Stunden, sagt er, treten dann ein, wenn ein Artikel zurückgezogen werden muss, sich herausstellt, dass es sich um wissenschaftlichen Betrug handelt. „Das wirkt sich ja nicht nur auf den Ruf des Magazins aus, sondern schürt in der Öffentlichkeit die Skepsis gegenüber der Wissenschaft.“

Wissenschaft und Öffentlichkeit – für Kennedy momentan ein besonders heißes Eisen. Selten war unter einer US-Regierung Wissenschaft so heftig Gegenstand der öffentlichen Debatte, sagt er und nennt als Beispiele Stammzellenforschung und Klimawandel. Er selbst ist über die Jahre zum Anwalt eines „aggressiven Klimaschutzes“ geworden. Und Science hat aufgrund seines persönlichen Engagements – er verfasst die Hälfte aller Leitartikel – besonders gegen die Regierungsmeinung zur Erderwärmung angeschrieben.

Unter konservativen Wissenschaftlern machte er sich so Feinde. Patrick Michael, Klimaexperte vom Cato-Institut in Washington, wirft ihm vor, in seinem Magazin kaum Gegenauffassungen abzudrucken: „Er ist ein engstirniger Ideologe.“

Kennedy widerspricht. Er sagt, es gebe einen machtvollen Konsens unter Wissenschaftlern in Bezug auf dem Klimawandel und dessen Konsequenzen. Er nimmt es daher fast persönlich, dass sich das Weiße Haus den Realitäten so hartnäckig verschließt. „Bush hat deutlich gemacht, dass er Wissenschaft missachtet.“ Und dann der Wahlsieg, der in gewisser Hinsicht den Triumph einer Politik bedeutet, die Forschung gering schätzt. Kennedy wirkt etwas verstört, wenn er darüber spricht.

Ein anderer Streit bringt Kennedy sichtlich in Rage. Christliche Konservative streiten mit der Wissenschaft über Schöpfungsgeschichte und Abstammungslehre. Erklärt die natürliche Evolution nach Charles Darwin alles, oder muss man im Biologieunterricht zur Bibel greifen? Der Chefredakteur ist sichtbar erregt und wedelt mit seinen Händen. „Jeder hat das Recht auf seinen Glauben. Aber wir sollten doch bitte einen Unterschied machen zwischen Wissen, das sich auf Nachweise stützt, und Religion. Was hier geschieht ist alarmierend. Dieser Trend ist in keinem anderen Industrieland zu finden.“ Doch Forscher und Wissenschaftspublizisten, meint er, sind hierfür mit verantwortlich. Sie könnten die wachsende Komplexität der Welt immer schlechter einer breiten Öffentlichkeit erklären. Daher müssen sie eine verständlichere Sprache und neue Wege finden für Wissenschaft zu begeistern.

Dies ist sein persönliches Ziel für die kommenden Jahre. Richtig gelesen. Jahre. An Rente denkt er nicht. Solange Körper und Geist mitspielen, will er weitermachen. Er hat sich ein kleines Maßnahmenpaket zum Erhalt von Vitalität geschnürt: Optimismus, Lebensfreude, Veränderung bejahen und die fünfzehn Minuten Weg zu Fuß ins Büro gehen. Zudem die Fähigkeit, abzuschalten. Wann immer es geht, verbringt er Zeit mit seinen vier Kindern, sechs Enkelkindern und in den Bergen von Colorado beim Skifahren. Privates und berufliches Leben zu koordinieren sei allerdings sehr kompliziert. Seine Frau hat eine Anwaltskanzlei in Kalifornien, wo in Palo Alto ihr gemeinsamer Lebensmittelpunkt ist. Sie reist viel, er pendelt wöchentlich nach Washington. So oft es geht, kommt sie mit. „Wenn man so viel unterwegs ist, braucht man ein festes Ritual, wenn man sich sieht.“ Bei ihnen ist es Kochen. Wochentags bindet er sich die Schürze um, am Wochenende sie. „Dann gehen wir zwei Stunden nicht ans Telefon.“