Im Land der Energiesparer

Unter dem Motto „Clever sein – Energie sparen“ will das nordrhein-westfälische Energieministerium Türken zum Energiesparen bringen. Ein Gelsenkirchener Modelprojekt dient der Initiative als Vorbild

„Klimaschutz und Energieeffizienz sind nicht die ersten Worte, die man beherrscht“

AUS ESSENULLA JASPER

Fast fünf Jahrzehnte nach Beginn der „Gastarbeiter“-Immigration hat auch das Energieministerium Nordrhein-Westfalens ausländische Bürger für sich entdeckt. Gemeinsam mit dem Essener Zentrum für Türkeistudien und der landeseigenen Energieagentur startet das Ministerium nun eine Energiesparoffensive. Zielgruppe: die rund 900.000 türkischstämmigen MigrantInnen in NRW.

Zwar sei das Bundesland ein Vorreiter bei der Integration ausländischer Bürger, befindet Faruk Sen, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien. Das Energieministerium habe bisher aber nicht den Kontakt zu den MigrantInnen gesucht. Auch Jörg Hennerkes, Staatssekretär im Energieministerium, räumt ein, dass die hier lebenden TürkInnen beim Klimaschutz eine „vergessene Klientel“ seien. Umso notwendiger sei die Zusammenarbeit, da in Sachen Energieeffizienz „ein absolutes Wissensdefizit“ bei der türkischen Bevölkerung festgestellt worden sei, wie Sen erklärt. „Höchste Zeit“ werde es also für diese Kooperation.

Mit einer türkischsprachigen Informationsbrochüre will das Energieministerium nun ansetzen, um das Wissensdefizit zu verringern und in der ausländischen Bevölkerung ein Bewusstsein für Energiesparpotentiale zu schaffen. „Klimaschutz und Energieeffizienz sind eben nicht gerade die ersten Worte, die man in einer Fremdsprache beherrscht“, sagt der Leiter der Energieagentur, Norbert Hüttenhölscher.

„Zwölf praktische Tipps rund um Wärme-, Strom und Wasserverbrauch“ sollen den 225.000 türkischen Haushalten nun dabei helfen, Energie effizienter zu nutzen und sich im Dschungel aus Niedrigenergiehäusern, Sparlampen und Standby-Verbrauch zurecht zu finden. Vor allem die 60.000 türkischen Familien, die in den eigenen vier Wänden leben, sollen darüber hinaus erfahren, welche Gelder Land und Bund für energiesparende Umbaumaßnahmen zur Verfügung stellen.

Zudem will die Energieagentur den 20.000 selbständigen türkischen Unternehmern, vom Bäcker bis zur Unternehmensberatung, Wege aufzeigen, durch niedrigeren Energiebedarf langfristig die Produktionskosten zu senken und günstiger zu arbeiten. „Allein in der Lebensmittel verarbeitenden Industrie sind Energieeinsparungen von zehn bis 50 Prozent möglich“, so Hüttenhölscher.

Die Initiatoren des Projekts mussten jedoch einräumen, dass sie bisher nicht so recht wussten, wie sie die Zielgruppe ansprechen sollen. „Wir haben durchaus gemerkt, dass wir Neuland betreten“, sagt Hüttenhölscher. Lokale Partner vor Ort, wie die Arbeiterwohlfahrt und kommunale Ansprechpartner, sollen das Problem nun lösen.

Als Model dient den Energiesparern ein Projekt, dass zurzeit in Gelsenkirchen mit Erfolg läuft. Im Stadtteil Neustadt hatten Untersuchungen ergeben, dass der Energieverbrauch besonders hoch ist. „Es gibt hier offenbar einen Zusammenhang zwischen der sozial schwachen Bevölkerungsstruktur und dem hohen Energieverbrauch“, erklärt Hennerkes. Für die Bewohner, die oft mit wenig Geld über die Runden kommen müssen, sei Energiesparen also auch wirtschaftlich reizvoll. Über Energieeffizienz freuen würde sich auch die Stadt Gelsenkirchen, die über den Sozialhaushalt in vielen Fällen die Kosten für Heizung und Strom übernimmt. Die Energieagentur hat deshalb mit den Partnern vor Ort individuelle Konzepte entwickelt, die den Familien das Energiesparen erleichtern sollen. Gleiches will man nun landesweit für die türkischsprachige Bevölkerung ermöglichen. Auch Brochüren in Russisch und Spanisch sind geplant.

50 Jahre nach der Anwerbung der ersten türkischen Arbeiter haben die selbst ernannten deutschen Mülltrennungs- und Energiesparweltmeister nun also die „vergessene Klientel“ für sich entdeckt.