„Wer darf da noch den Narren spielen?“

Karneval ausfallen lassen, weil Feiern wegen Katastrophen unangemessen erscheint? Das kam in der Geschichte Kölns bislang nur einmal vor: 1991. Ob Revolution, Terror oder Tsunami – the show must go on, schon weil Arbeitsplätze und Millionenumsätze vom „Industriezweig“ Karneval abhängen

VON HILDEGARD BROG

Seit 1991 wegen des Golfkriegs der Karneval in Köln und auch anderswo ausfiel, taucht immer wieder die Frage auf, ob angesichts aktueller tragischer Ereignisse wie des Krieges im Irak oder der Terroranschläge überhaupt Karneval gefeiert werden kann? Auch in diesem Jahr drängte sich wegen der fürchterlichen Flutkatastrophe in Südostasien die Frage wieder auf. Sensible Gemüter mag es irritieren, dass trotz des vielen Leids, das der Tsunami über Millionen von Menschen gebracht hat, die Jecken hier fröhlich Karneval feiern.

Aber die Karnevalsgesellschaften haben sich dafür entschieden, weder Sitzungen noch Züge abzusagen. Statt dessen werden bei allen Veranstaltungen für die Flutopfer Spendengelder gesammelt. Ein Karnevalsverzicht wie 1991 ist heute schon allein wegen der massiven Wirtschaftsinteressen kein Thema mehr. Tausende von Arbeitsplätzen und ein Millionenumsatz hängen mittlerweile vom „Industriezweig“ Karneval ab.

Dabei folgt die diesjährige Entscheidung, allem zum Trotz Karneval zu feiern, einer guten Tradition. Denn im Lauf der Zeit haben immer wieder ungewöhnliche Ereignisse unmittelbar vor den Karnevalstagen die Frage aufgeworfen: Feiern oder nicht? In Köln wurde sie fast immer mit Ja beantwortet und die Argumente ähnelten sich dabei sehr.

Zum Beispiel 1838. Während der Kölner Erzbischof Droste zu Vischering in Minden in Festungshaft saß, stritten die Kölner darüber, ob dies ein Grund sei, den Karneval ausfallen zu lassen. Eine Mehrheit von zwei Dritteln hatte sich vehement gegen die Durchführung des Festes ausgesprochen. Nur ein Drittel des Festkomitees sorgte dafür, dass das Fest seinen gewohnten Gang nahm. Wäre der Rosenmontagszug ausgefallen, hätte die preußische Regierung dies als eine scharfe Kritik an ihrem Verhalten verstanden.

Spendenbereitschaft

Doch da war noch ein weiterer Aspekt, auf den Stadtchronist Fuchs hinwies: Es sei die Ansicht vertreten worden, der Karneval dürfe wegen der zu erwartenden „Belebung der Industrie“ nicht ausfallen. Schon damals war der Fastelovend ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor, bei dem auch bereits die Spendenbereitschaft eine Rolle spielte, wie die Kölnische Zeitung kommentierte: „Bei den echten Kölnern ist der meiste Anklang für das Carnevals-Fest. Warum aber? Weil wir uns gern in den paar Tagen in ungetrübter Lust ergötzen, und dann nach den bunten Tagen das Innere eines Jeden um so mehr mit wahrer Freude erfüllt ist, als er sich sagen kann: auch du hast etwas dazu beigetragen, daß auf zweckmäßigem Wege den Armen Gutes geschehen konnte.“

Zum Beispiel 1848. Wenige Tage vor Rosenmontag brach in Paris die Revolution aus und schwappte auf Köln über. Erneut stellte sich die Frage: Feiern oder nicht? Die Diskussion wurde in der Kölnischen Zeitung ausgetragen. Im Wortlaut hieß es da: „Die Zeit ist ernst, sehr ernst, die Erde bebt unter unseren Füßen – wer darf da noch den Narren spielen?... Laßt euch nicht einreden, die Fastnacht komme den Armen zu Gute, es ist das eine Lüge; für den Armen bleiben kaum die Brosamen ... übrig.“

Das Festordnende Comité der Großen Carnevalsgesllschaft sah dies jedoch anders: „Der Carneval ist nicht bloß ein Narrenfest, es ist ein altes Volksfest, das namentlich bei uns wesentlich in die gewerblichen Verhältnisse eingreift. Ein Aufgeben des schon vorbereiteten Festes würde eine Menge von Gewerbsleuten, die im Vertrauen auf unsere früheren Ankündigungen, Vorbereitungen und Anschaffungen zum Carneval gemacht oder die auch auf Verdienst mit Recht gehofft haben, in Schaden bringen, für den wir keinen Ersatz geben könnten.“ Der Rosenmontagszug fand statt, doch sei er weniger witzig gewesen als in früheren Jahren, hieß es.

Cholera-Epidemie 1867

Zum Beispiel 1867. Im Februar jenes Jahres erreichte die Cholera-Epidemie ihren Höhepunkt. Eine Absage der Karnevalsfeiern wurde jedoch nicht in Erwägung gezogen. Wiederum spiegelte sich die Auseinandersetzung in der Kölnischen Zeitung wider. Sie versuchte, die Furcht ihrer Leser zu lindern, indem sie die Lektüre von Kants Werk: „Von der Macht des menschlichen Gemüthes, seiner krankhaften Empfindungen Meister zu werden“ als bestes Vorbeugungsmittel empfahl. „Andere ansteckende Krankheiten, wie z. B. Nervenfieber, Pocken usw. haben oft in kurzer Zeit mehr Menschen in Köln hingerafft, als die Cholera es jetzt thut.“ Der Rosenmontagszug in Köln fand statt. Allerdings kamen deutlich weniger Zuschauer als in früheren Jahren.

Zum Beispiel 1925. Der für den 10. Januar 1925 erwartete Abzug der britischen Besatzungsmächte verzögerte sich. Die Kölner Wirte hatten mit einigem finanziellen Aufwand bereits Vorkehrungen für die ersten Karnevalsveranstaltungen der Nachkriegszeit getroffen. Doch die Stadt verbot sämtliche Veranstaltungen in städtischen Lokalen.

Das Kölner Festkomitee erhob deshalb vor dem Landgericht Klage gegen die Stadt und erwirkte gleichzeitig eine einstweilige Verfügung. Der damalige Kölner OB Konrad Adenauer wurde vom Gericht angewiesen, die Lokale Messehof, Stadtwald und Volkgartenwirtschaft für Karnevalsfeiern freizugeben. Vor Gericht bekamen die im Festkomitee zusammengeschlossenen neun Karnevalsgesellschaften Recht. In den Wochen vor Rosenmontag gab es in Köln so viele Maskenbälle und Sitzungen wie in all den Jahren vor dem Krieg zusammen, schrieb der Stadt-Anzeiger, Vorläufer des 1949 gegründeten Kölner Stadt-Anzeigers. Aber auch die Geldknappheit war nicht zu übersehen, die jedoch dem Spaß an der Freud keinen Abbruch tat: „Keine sonst noch so drückend in Erscheinung tretende Not der Zeit“ könne den rheinischen Frohsinn schlagen, so der Stadt-Anzeiger.

1962: nach dem Mauerbau

Zum Beispiel 1962. Im August zuvor war in Berlin die Mauer errichtet worden. Teile der Bevölkerung waren angesichts der „Errichtung der Schandmauer“ der Ansicht, die Rosenmontagszüge müssten ausfallen. Zu ihnen gehörte der damalige nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Grundmann. Er meinte, „daß der Karneval in diesem Jahr, daß Frohsinn und Freude ihre Grenzen finden müssen in der Unklarheit des Schicksals unseres Volkes. Dieses Schicksal trifft ja auch jeden einzelnen von uns und auch die, die irgendwo als Karnevalisten auftreten.“

Eine andere Haltung vertrat Rochus Spieker. Der Dominikanerpater erhielt in jenem Jahr in Aachen den Orden wider den tierischen Ernst. Was er damals sagte, hat bis heute nicht an Aktualität verloren: „Wer nur Karneval feiert, weil Karneval organisiert wird, ist ein Trottel; wer es tut, nur um sich zu amüsieren, ist ein Lump; wer Karneval feiert, ohne das andere zu vergessen und mit Maß dazu noch zeigen will: ‚Wir lassen uns nicht unterkriegen‘, ist in Ordnung!“