: Jeder Fünfte ist offiziell ohne Job
Hartz IV bringt keine neuen Stellen, aber neue Statistiken: Knapp 330.000 Berliner sind offiziell arbeitslos. Das sind 19,4 Prozent. Aber auch diese Zahlen zeigen noch nicht die ganze Wahrheit
VON RICHARD ROTHER
Die Wirtschaft kurbelt die umstrittene Arbeitsmarktreform Hartz IV nicht an, dafür aber die Statistik. In Berlin sind im Januar rund 328.000 Menschen als arbeitslos registriert gewesen. Das entspricht einer Quote von 19,4 Prozent. Vor Jahresfrist lag die Quote noch bei 17,9 Prozent. Die Ursachen für diese dramatische Entwicklung: Der saisonal bedingte Beschäftigungsrückgang im Januar und die gründlichere Zählung der Arbeitslosen durch die Hartz-IV-Regelungen. Aber auch darin werden noch real Arbeitslose versteckt – sie tauchen in der Statistik nicht auf.
In Berlin waren im Januar rund 41.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet als im Dezember. Saisonal bedingt wäre nach Angaben der Landesarbeitsagentur ein Anstieg von 10.000 bis 17.000 Arbeitslosen üblich gewesen. Der Rest ist also – statistisch gesehen – auf die im Januar in Kraft getretene Hartz-IV-Regelung zurückzuführen, die die bisherige Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau (Arbeitslosengeld II) zusammenlegte. Jetzt werden nämlich auch die Arbeitslosen von der Statistik erfasst, die bisher bei den Sozialämter registriert, aber nicht beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet waren.
Durch die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung fallen aber auch diverse Gruppen von eigentlich Arbeitslosen aus der Statistik: zum Beispiel Menschen, die auf Grund des Partnereinkommens keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Ebenso wenig werden 1-Euro-Jobber, ABM-Kräfte oder Teilnehmer an Berufsbildungsmaßnahmen gezählt. Insofern seien in Berlin mehr als 400.000 Menschen arbeitslos, schätzt FDP-Arbeitsmarktexperte Rainer Michael Lehmann. „Die Zahlen sind trotz des Systemwechsels geschönt.“
Drastisch gestiegen ist auch die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren, die sich um 36 Prozent auf rund 41.000 erhöhte. Im Vergleich zum Vorjahr lag der Anstieg bei fast 38 Prozent. Bei den unter 20-Jährigen steht sogar mehr als eine Verdoppelung auf rund 9.000 zu Buche.
Ernüchternd ist auch die Beschäftigungssituation: Ende Oktober waren in Berlin rund 1,05 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 27.500. Vom Arbeitsplatzabbau waren vor allem der Handel, das verarbeitende Gewerbe sowie Bau und Verwaltung betroffen. Mehr Beschäftigte gab es nur im Gastgewerbe. Gerade mal 6.200 Stellenangebote registrierten die Behörden im Januar. Rein rechnerisch streiten sich nach der offiziellen Statistik etwa 53 Arbeitslose um eine gemeldete offene Stelle.
Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) forderte gestern die Bundesregierung auf, zu einer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik überzugehen, die den Aufbau regulärer Beschäftigung fördere. DGB-Landeschef Dieter Scholz sagte, angesichts des Jobmangels sei es „menschenunwürdig, Arbeitslose unter Druck zu setzen“. Die Grünen-Fraktion forderte, 1-Euro-Jobs mit Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu kombinieren.
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