Moshfinsternis

Auch Optimismus kann nerven: Die Band Silbermond rockte hoffnungsfroh die Berliner Columbiahalle

Wir alle wissen ja, wie zermürbend der Prozess der Namensfindung für eine Band sein kann. Über Wochen oder gar Monate werden Lieblingsbücher durchforstet und Lexika per Zufallsprinzip befragt. Immer wieder scheinen bislang für bedeutungslos gehaltene Lebensmittelverpackungen den Durchbruch zu bringen. Ein rostiger Anker, der meistens schnell wieder eingeholt werden muss, weil am Ende ja doch niemand ein Berufsleben lang „Vollmilch“ oder „Butterkeks“ heißen will.

Silbermond haben es in puncto Namensfrage – um in der gerade kreierten Metapher zu bleiben – gerade noch mal an Land geschafft. Seit ihrem Major-Deal hat sich für die vier Bautzener Schüler Johannes, Andreas, Stefanie und Thomas sowieso viel geändert: Sie sind jetzt nicht nur Exschüler und Exbautzener und haben die unheilvolle Vornamens-Anfangsbuchstaben-Kombination Jast zugunsten der erfolgversprechenden Variante „bescheuert, aber sehr vokalreich“ abgelegt (siehe hierzu auch: Oasis). Inzwischen machen sie auch zweimal hintereinander die Berliner Columbiahalle voll.

Beim Konzert am Dienstagabend wurde dort zusätzlich eine DVD produziert, was einerseits viel über das vermarkterische Potenzial der Band Silbermond aussagt und andererseits bei Publikum und Musikern für ordentlich Stimmung sorgte. Man scheint zu wissen, wie wichtig eine gewisse Bodenständigkeit für den richtig großen Erfolg ist: Während Missy Elliott sich von Assistenten immer erst den Schmuck abnehmen lässt, bevor sie ins Publikum steigt, singt die schwarzhaarige Silbermond-Sängerin schon das erste Lied aus einem Lichtkegel in der Menge, als kümmerte sie keine Gefahr.

Auch sonst regiert bei Silbermond das Schlichte, Sportliche, Unprätentiöse, was leider nicht nur für das lieblose Outfit called Hose-T-Shirt-Turnschuh, sondern auch für Musik und Texte, also die eigentlich interessanten Sachen gilt. Gut spielen können sie ja, die drei Begleitjungs an Gitarre, Schlagzeug und Bass. Und der Gesang kommt so klar und kräftig und gerade, als hörte man sich soeben die Platte an. Aber irgendwie scheint es, als hörte man immer dieselbe Platte, Lied für Lied, Ton für Ton.

Jeder Song hat die gleiche Struktur, nur manchmal eben mit einem anderen Anstrich; es scheint fast, als würden Silbermond mit Camouflage-Technik arbeiten. In der Hauptsache ist es kraftvoll vorgetragene Rockmusik, zu der Gitarrenjunge und Bassjunge meistens breitbeinig-langhaarig moshen, während Frontfrau als Klon aus Doro Pesch und Frontfrau-von-Guano-Apes über die Bühne spurtet. Es gibt ein Gitarren- und ein Bass-Solo, ein Akustik- und ein Klavier-Set, einen Reggae- und einen Rap-Rock-Song, und einmal klingt irgendwas leise nach Punk. Aber vielleicht habe ich da auch schon nicht mehr richtig hingehört.

Einem Schlager, dessen Refrain der „merci“-Reklame ähnelt, folgt eine Coverversion von „Unrockbar“, einem der schlechteren Songs der Ärzte. „Es gibt viel zu viele Realisten und Pessimisten unter uns!“, und „Es lebe der Optimismus!“, ruft die sympathische und hart arbeitende Sängerin ins Publikum, das mit Jubel antwortet und bestätigt. Spätestens hier, beim Titel „Zeit für Optimisten“, der von einer grünen Hoffnungs-Lightshow untermalt wird, muss ich meine akustischen Aufnahmekapazitäten auf ein Minimum reduzieren. Mein Appetit auf Songs für die neue Bürgerlichkeit ist für heute gestillt. Die restliche Zeit vertreibe ich mir mit dem erhebendsten Anblick des Abends, den zwei schwebenden Kameraarmen, die so schnell und plötzlich heranfahren wie H. R. Gigers Aliens.

Und nachts habe ich geträumt, Echt wären zurück.

LORRAINE HAIST