Vergessene Kranke

Die Deutsche Ärzteschaft kritisiert: Alzheimer-Patienten werden zu selten mit moderner Arznei behandelt

BERLIN taz ■ Ärzte sollten Alzheimer- und andere Demenzkranke besser therapieren, fordert die Deutsche Ärzteschaft. Vor allem sollten sie häufiger als bisher moderne Antidementiva verordnen. Das Mediziner-Gremium stellte gestern in Berlin eine neue Leitlinie vor. Sie soll den Vertragsärzten einen Anhalt zur Behandlung Altersverwirrter geben.

In ihrem jüngsten Gutachten empfehlen die Spezialisten, die so genannten Acetylcholinesterasehemmer zu verordnen. Doch die sind durchaus umstritten. Nach derzeitigem Wissensstand können sie die Krankheit nicht aufhalten, wohl aber verzögern – um etwa sechs Monate bis ein Jahr, so ist zumindest die Erfahrung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Die Kranken können länger ihren Alltag bewältigen, selbständig essen oder sich die Schuhe zubinden. Schon dieser Aufschub sei „in jedem Fall Grund genug, die Medikamente einzusetzen“, sagte Hermann-Josef Gertz von der Uni Leipzig, Mitautor der neuen Richtlinie. Dass die Medikamente dennoch bislang wenig verordnet werden, liegt auch an ihrem Preis: 5 bis 7 Euro kostet eine solche Therapie pro Tag.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Medikamente helfen nicht allen Kranken. Nur bei etwa jedem vierten Patienten wirkt die Medizin, so Gertz. Er folgert daraus aber nicht, auf ihren Einsatz zu verzichten. Vielmehr solle der Arzt den Verlauf der Krankheit genau beobachten. Wirkt das Mittel nicht, sei die Therapie schnell abzubrechen. So will Gertz dem Vorwurf begegnen, die Krankenkassen investierten viel Geld in eine Behandlung, deren Nutzen gar nicht gesichert sei.

Die Alzheimer Gesellschaft zumindest begrüßt die neue Richtlinie. Man dürfe Kranken nicht aus Kostengründen ein Medikament vorenthalten, das Tausenden helfe, so eine Sprecherin. Momentan leiden in Deutschland etwa eine Million Menschen an Altersverwirrtheit. Die Ärzte schätzen, dass die Zahl bis 2030 auf zwei Millionen steigen wird. Sie plädieren daher für neue Studien, die das Für und Wider verschiedener Therapien beleuchten. COS