Zuckerbrot, nur wenig Peitsche

US-Präsident Bush konzentriert sich außenpolitisch auf den Nahen Osten. Außenministerin Condoleezza Rice soll das „alte Europa“ versöhnen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Mit dem eigenen Wahlsieg und dem relativ erfolgreichen Urnengang im Irak im Rücken erlebte Präsident Bush während seines Auftritts im Kongress anlässlich der Rede an die Nation vielleicht bereits den Zenit seiner zweiten Amtszeit. Von nun an, prophezeien Experten in der Hauptstadt, kann es nur noch bergab gehen. Denn zweite Amtszeiten amerikanischer Präsidenten sind bekannt für Skandale, Misserfolge und unerledigte Aufgaben.

Am Mittwoch im Kapitol präsentierte sich jedoch ein selbstbewusster und optimistischer Bush. Sein Auftritt war wie immer eher ein Ritual, dem die Choreografen aus dem Weißen Haus eine möglichst große Symbolkraft zu verleihen versuchen – diesmal mit Gästen aus Afghanistan, Palästina und dem Irak auf den Ehrenplätzen, die den amerikanischen Freiheitswillen weltweit unterstreichen sollten.

Die traditionelle Ansprache an den Kongress hält inzwischen kaum noch Überraschungen bereit, die wichtigsten Inhalte lässt die Administration vorab an die Presse durchsickern. Daher versucht man jetzt, zwischen den Zeilen zu lesen oder einen neuen Tonfall zu entdecken. Ein melodramatischer Moment während der Rede wird in Erinnerung bleiben. Als Bush eine irakische Menschenrechtsanwältin auf der Zuschauertribüne würdigte, umarmte diese sichtlich aufgewühlt wenige Augenblicke später die vor ihr sitzende Mutter eines im Irak getöteten Marinesoldaten – eine bewegende Szene, die Bushs Freiheitsruf, den er in seiner Amtsantrittsrede verkündete, perfekt kristallisierte.

Im vergleichsweise kurzen außenpolitischen Teil der Rede hielt der Präsident das erwarte Loblied auf die Verbreitung von Freiheit und Demokratie. Euphorisch beschrieb er den Wahlverlauf im Irak, ohne jedoch die drängenden Fragen nach dem „Wie nun weiter“ zu beantworten. Er präsentierte der eigenen Bevölkerung, die den Militäreinsatz mittlerweile mehrheitlich als Fehler betrachtet, auch keine Strategie für einen schrittweisen Rückzug der US-Truppen. „Bush hat sich um die kritischsten Punkte herumgemogelt“, monierte die New York Times.

Anders als vor zwei Wochen, als Bush nach seiner Vereidigungsrede heftige Kritik einstecken musste, er würde die Prinzipien Freiheit und Menschenrechte im Umgang mit anderen Staaten nur selektiv anwenden, appellierte er nun an die langjährigen Verbündeten und autokratischen Regime Ägypten und Saudi-Arabien, der Demokratie endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Andere Länder wie Marokko lobte er indes ausdrücklich für ihre Reformanstrengungen.

Als Verbündete des Terrors geißelte er diesmal Syrien und den Iran. Letzteres überraschte nicht nach dem verbalen Schlagabtausch der vergangenen Wochen zwischen Washington und Teheran. Besonders aggressiv fiel seine Anklage jedoch nicht aus. Er unterließ es zudem, mit militärischer Gewalt zu drohen. Stattdessen erklärte er sich solidarisch mit der Opposition im Lande und versicherte, das iranische Atomprogramms gemeinsam mit den Europäern auf diplomatischem Weg verhindern zu wollen. „Der Präsident hat sich weit von der Rhetorik der Achse des Bösen‘ entfernt“, bemerkte denn auch der konservative Kommentator Robert Novak. Ein Plädoyer für einen weiteren Präventivkrieg war nicht herauszuhören.

So war Bushs Tonfall insgesamt weniger martialisch und mehr versöhnlich. Er würdigte die Beziehungen zu den europäischen Partnern und gelobte, sie zu verbessern. Für die Feinarbeit schickt er nun seine neue Chefdiplomatin Condoleezza Rice in die Alte Welt, wo sie sich eine Mammut-Tour verordnet hat. Demonstrativ will sie ihre wichtigste Rede in Paris halten, wo man sich noch gut an ihren wohl berühmtesten Ausspruch im Umgang mit den widerspenstigen Irakkriegsgegnern erinnern dürfte: „Russland verzeihen, Deutschland ignorieren und Frankreich bestrafen.“

Wie skeptisch man der Architektin von Bushs Außenpolitik in Europa auch begegnen mag, wie schwer sie es haben wird, so geschätzt zu werden wie ihr Vorgänger Colin Powell, einen entscheidenden Vorteil bringt sie mit: Anders als bei Powell muss man bei ihr keine Kaffeesatzleserei mehr betreiben. Sie genießt Bushs Vertrauen. Ihre Worte sind auch die Gedanken des Präsidenten. Wenn sie also sagt, der Irankonflikt werde diplomatisch gelöst, ist das auch die Absicht des Weißen Hauses.