Begeistert vom Monströsen

Wissenschaftlich zuverlässig und doch unterhaltsam: Fox’ Alexander-Biographie

Es ist keineswegs den poetischen Erfindungen vorbehalten, dass einmal das Übergroße ins Monströse umschlägt. Die Geschichte kennt dafür das Beispiel des Makedonenkönigs Alexander. Als Kind vom leibhaftigen Aristoteles ausgebildet, dachte er später, sich die Welt unterwerfen zu können, obwohl er nicht einmal wusste, wo ihre Grenzen lagen. Monströs konnte die Sache deshalb aussehen, weil er es beinahe geschafft hätte – zumindest von den westlichen Rändern Indiens bis hin zur Atlantikküste Nordafrikas.

Dass er es nicht ganz schaffte, hat vor allem zwei Gründe: In Indien meuterte das erschöpfte Heer und zwang ihn schließlich zum Rückmarsch. Und als er nach Babylon heimkehrte, der Hauptstadt seines neuen Reiches, von der er nach Arabien aufbrechen wollte, um es zu unterwerfen – Karthago, Rom und der Westen sollten erst später drankommen –, in Babylon also ereilte ihn, 33 Jahre alt, der Tod. Kaum jemand zweifelt daran, dass ihm alles gelungen wäre, wenn er weitergelebt hätte, ein, zwei Jahrzehnte wenigstens. Nur die Römer, so Livius, glaubten, als sie selber ein Weltreich errichtet hatten, sie würden ihn aufgehalten haben. Darüber kann man nur lächeln.

Aber nicht allein deshalb, weil er ein überragender Feldherr war, wird Alexander der Große genannt. Die Eroberung des Perserreiches geschah unter aufwändiger wissenschaftlicher und wirtschaftspolitischer Begleitung. Es wurde eine Infrastruktur geschaffen, die makedonische Herrschaft in den weiten eroberten Gebieten über Jahrhunderte konkurrenzlos hielt. Aber es war griechische Kultur – auch solche der unfeinen Art –, die makedonische Waffen in den Osten brachten. Das Ergebnis war der Hellenismus, und der ist zu Recht die Umwandlung des Griechentums in eine Weltpotenz genannt worden.

All das schildert der Brite Robin Lane Fox nicht ohne Begeisterung. Der Grund dafür könnte sein, dass er sein Buch zuerst 1974 im Alter von 27 Jahren veröffentlichte. Jetzt ist eine nach neuestem Forschungsstand überarbeitete deutsche Fassung herausgekommen. Die durch Gelehrsamkeit gezügelte Begeisterung teilt Fox mit Johann Gustav Droysen, dem preußischen Historiker, auf den Europa lange hatte warten müssen, um endlich wieder eine zustimmende Alexander-Biographie zu bekommen. Der 1808 geborene Droysen schrieb sie, 25 Jahre alt, 1833; zuvor war er Hauslehrer in Berlin bei den Mendelssohn-Bartholdys gewesen. Man scheint jung sein zu müssen, um eine mitreißende Alexander-Darstellung verfassen zu können! Zwischen den antiken Autoren und Droysen beherrschte vor allem der Alexander-Roman das Feld.

Anders als Droysens Buch in der 2. Auflage (1877), ist Fox’ Werk in der Bearbeitung nicht schwerfälliger geworden. Er ist nicht dem Ehrgeiz erlegen, allzu viel von dem einen oder anderen, was man zusätzlich oder genauer wissen kann, in seine Erzählung einzuarbeiten. Wissenschaftlich zuverlässig ist diese dennoch, was man von der Auswahl-Bibliographie nicht sagen kann. Hier fehlt manches, was nach Anlage der Argumentation hineingehört hätte. Aber das wird am wenigsten den Kino-Besucher stören, der von dem Alexander-Film fasziniert nun zur Biographie greift. Sie ist zu empfehlen – ebenso wie die seit mehr als hundert Jahren immer wieder neu aufgelegte Erstfassung des Droysen-Buches. JÜRGEN BUSCHE

Robin Lane Fox: „Alexander der Große. Eroberer der Welt“. A. d. Engl. v. Gerhard Beckmann, Klett-Cotta, Stuttgart 2004, 816 Seiten, 29 EuroJohann G. Droysen: „Alexander der Große“. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2004, 740 Seiten, 15 Euro