Ferien fürs Leben

Subventionierte Jugendreisen à la française: die „Colonies de vacances“ bieten mehr als Pingpong und Lagerfeuer

VON GUILAINE TROSSAT

Mit neun war ich zum ersten Mal auf einer organisierten und subventionierten Jugendreise, in einer „Colonie de vacances“. Damals war ich mit meiner Reise ins Dorf Fleury-la-Montagne, zehn Kilometer von meinem Elternhaus entfernt, hoch zufrieden. Ich hätte auf Sansibar keine größeren Abenteuer erleben können. Meine mitreisende Cousine war nach zehn Tagen ununterbrochenen Weinens von ihrer Mutter abgeholt worden. Ich aber bekam nie genug vom Basteln mit Klopapier, der Besichtigung des Porzellanmuseums, dem Judounterricht oder – Höhepunkt der Woche – dem üblichen Samstagabendspektakel. Nicht wenig neidisch waren die anderen Mädchen auf meine Lambada-Interpretation auf der Querflöte oder meinen Auftritt als Braut bei der Modenschau, im Nachthemd einer Betreuerin und einer vergilbten Gardine darüber.

Ich hatte zum ersten Mal Kontakt zu anderen Kindern geknüpft, mit denen ich in meinem bürgerlichen Alltagsleben nicht zu tun hatte. Die Colonie kostete knapp dreihundert Euro, und die konnten sich auch Familien aus sozial schwächeren Schichten leisten. Der Genosse Marcel Maillot, aktives Mitglied der kommunistischen Partei, hatte sich nichts anderes gewünscht, als er nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Colonies de vacances in Frankreich gründete. Und das System funktioniert bis heute: Jedes Jahr verbringen knapp 1,5 Millionen junge Franzosen einen Teil ihrer Schulferien im Rahmen einer Colonie, in Frankreich oder im Ausland.

Die Aufenthalte dauern ein bis vier Wochen. Große Unternehmen subventionieren die Schülerreisen durch Feriengutscheine oder indem sie für die Kinder ihrer Angestellten in bestimmten Colonies Preisvergünstigungen anbieten. Auf diese Weise lernte ich in einer Colonie in England nur Kinder von Postangestellten kennen. Sozial schwache Familien können Unterstützung durch die Gemeinden oder die Départements beantragen. Allerdings betreibt jede Institution die Förderung nach ihren eigenen Kriterien, und häufig gibt es gerade von den billigen Plätzen nicht genug. Die „Familienkassen“ verteilen zwar im Verhältnis zum Gehalt der Eltern und der Zahl der Kinder Gutscheine, aber das genügt nicht immer: Ein Drittel der französischen Kinder macht nie Urlaub.

Als geübte Colonie-Fahrerin wurde ich mit zunehmendem Alter immer kritischer gegenüber Gemeinschaftsduschen, Schlafsälen mit vierzig Betten und schlichten Aktivitäten. Weiter, exotischer, spannender und daher teurer musste es jedes Jahr werden. Eine traditionelle Colonie für 300 Euro pro Woche bietet Tennis und Minigolf, Spaziergänge im Wald, Singen, Lagerfeuer, Ausflüge, möglicherweise Reiten oder Kanufahren. Eine Colonie, die „ungewöhnlichere“ Aktivitäten anbietet (Windsurfen, Rafting, Kino-, Sprach- oder Musikkurse) kann das Dreifache kosten.

Mit siebzehn, auf dem Höhepunkt meiner Colonie-Karriere, nahm ich an einer Freizeit in Kalifornien teil. Meine Eltern hätten die knapp zweitausend Euro hierfür kaum bezahlen können, aber eine sparsam gewesene Tante machte nach ihrem Tod den Urlaub möglich.

Die Colonie in den USA sollte laut Hochglanzkatalog des Veranstalters die „crème de la crème“ sein: Ich würde in einer Familie „herzlich“ untergebracht sein und den ganzen Tag zusammen mit den anderen Jugendlichen „fun under the sun of California“ erleben. Für uns Jugendliche klang das wie „McDonald’s forever“, für die Eltern war es eine ernste Angelegenheit, vergleichbar mit einer Aufnahmeprüfung für Harvard. Sogar ein telefonisches Vorstellungsgespräch war vor der Reise geplant.

Die Colonie war aber nicht so jolie, wie ich gehofft hatte. Nur eine Frage schien in der Gruppe wichtig zu sein: „Wo ist mein Geld?“ Regelmäßig zählten die mitreisenden Jugendlichen die Aktivitäten auf, die wir schon gemacht hatten, um einzuschätzen, ob ihre Verbraucherrechte auch beachtet worden waren. Großes Mitleid brachte man mir entgegen, weil ich in einer mexikanischen Familie untergebracht war und dann auch noch Windpocken bekam. Wichtiger als der verpasste Ausflug nach Disneyland war für mich aber – zumindest im Rückblick –, Hindernisse allein überwunden und neue Erfahrungen gemacht zu haben.

Heute kann ich meine Reisen selbst organisieren. Doch bei jedem Urlaub sehne ich mich nach nichts anderem als den unerwarteten Ereignissen, den Begegnungen und der großen Freiheit, die ich verspürte, als ich zum ersten Mal in der Colonie de vacances war.

Wissenschaftliche Colonies: Planète sciencesloisirs@planete-sciences.org; Baustelle für Mittelalterinteressierte ab 16 Jahren: C.H.A.M.cham@cham.asso.fr; für Musiker: Fédération nationale des centres musicaux ruraux de Francefederation-cmr@wanadoo.fr; Jugend und Marine: Jeunesse et marinesiege@jem .asso.fr. Alle staatlich anerkannten Colonies im Überblick: www.education.gouv.fr/jeu nesse/cvl/listeassoc.htm GUILAINE TROSSAT ist Journalistikschülerin und lebt in Paris