: Deutschland intensiver
Immer öfter werden Schulreisen aus Kostengründen gestrichen. Den Veranstaltern drohen Einbußen, den Schülern Reisen in der Heimat
VON SIMONE KUDLA
Dem fliegenden Klassenzimmer, so wie Erich Kästner es einst beschrieben hat, sind die Flügel gestutzt worden. Jedenfalls gilt das für Mecklenburg-Vorpommern. Denn hier muss das Bildungsministerium immer öfter von Schulen beantragte Klassenfahrten abblasen. Das ärgert insbesondere die Veranstalter von Klassenreisen, denn die verdienen mit rund einer halben Milliarde Euro jährlich eine erkleckliche Summe.
„Jahrelang haben sich Bildungspolitiker in Deutschland überhaupt nicht für die Konzeption, Probleme und Kosten von Klassenfahrten interessiert“, kritisiert Klaus Eikmeier die Haltung des Bildungsministeriums in Mecklenburg-Vorpommern. Als Vorstandsmitglied von „Reisenetz“, dem größten deutschen Verein von Klassenfahrt-Veranstaltern, fürchtet er deutliche Umsatzeinbußen. Mit denen hat das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) bereits zu kämpfen. „2003 ist es uns noch gelungen, die rückläufigen Zahlen aufzufangen. 2004 ist uns das nicht im gewünschten Maß gelungen“, erläutert DJH-Sprecher Knut Dinter. 10 Millionen Übernachtungen verzeichnet das DJH jährlich; rund die Hälfte der Gäste sind Schüler. „Schulklassen sind definitiv unser Kerngeschäft. Bis Oktober 2004 gab es insgesamt 9 Prozent Umsatzeinbußen, das trifft uns hart. Wir können ja keine neuen Gästegruppen aus dem Hut zaubern.“ Jetzt will das DJH laufende Kosten, etwa beim Einkauf, senken und Lobbyarbeit und Werbung intensivieren. Einige Lehrer setzen Klassenfahrten mittlerweile auch als Druckmittel ein, weiß der Sprecher des Verbands Erziehung und Bildung in Mecklenburg-Vorpommern, Michael Blank: „Manche Kollegen weigern sich sogar, für Wandertage fünf Euro auszugeben. Das ist eine reine Trotzreaktion.“
Schuld an dieser Entwicklung, die auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wird, ist eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom September 2003. Demnach haben Lehrer künftig Anspruch darauf, Reisekosten auf Klassenfahrten erstattet zu bekommen (6 AZR 323/02). Bislang mussten die in Mecklenburg-Vorpommern sowie in einigen anderen Bundesländern von den Lehrern selbst getragen werden. Offizielle Begründung: Die Fahrten seien freiwillig; daher könne man sie nicht per se Dienstreisen gleichsetzen. „Das ist häufig Interpretationssache“, erklärt Heike Neitzert, Sprecherin des Bildungsministeriums Mecklenburg-Vorpommern. „Ist es nur Schule? Ist auch Freizeit dabei? In welchem Verhältnis steht beides zueinander? Es ist ein Unterschied, ob eine Klasse fünf Tage Skiurlaub macht oder für drei Tage ins Landschulheim fährt.“
Den Rummel um die Klassenfahrten kann sie nicht nachvollziehen: Es sei sogar Geld für Klassenfahrten übrig geblieben. Sowohl 2003 als auch 2004 seien jeweils 2000 Klassenfahrten vom Ministerium genehmigt worden. Ob und wie viele Klassenfahrten dagegen abgelehnt wurden, war nicht zu erfahren. Es gebe zwar Bundesländer, darunter Bayern, die das Urteil einfach ignorieren. Aber wenn es so ein Urteil gebe, solle man ihm auch Beachtung schenken, so Neitzert. „Es ist ja keineswegs so, dass keine Klassenfahrten mehr durchgeführt werden. Jede Schule hat ein bestimmtes Budget, und dann muss geschaut werden, ob die Wünsche der einzelnen Klassen realistisch sind. Reicht das Budget nicht aus, kann der Förderverein der Schule einspringen, oder aber Lehrer suchen nach Sponsoren.“
Für den Sprecher der Lehrergewerkschaft Verband für Erziehung und Bildung (VEB) in Mecklenburg-Vorpommern, Michael Blank, eine abstruse Idee: „Sollen wir Lehrer dann mit Coca-Cola-T-Shirts herumlaufen?“ Er betont: „Aufgrund der veränderten Gesetzeslage werden oft nur noch in bestimmten Jahrgangsstufen Klassenfahrten genehmigt. Und doch werden Lehrer oft auch weiterhin aus eigener Tasche zahlen müssen. Sauer werden sie immer dann, wenn von ihnen selbst beantragte Fahrten aus Kostengründen nicht durchgeführt werden können.“ Besonders gefährdet sind mehrtägige Klassen- beziehungsweise Studienfahrten. Eine Konsequenz ist, dass viele Fahrten jetzt nicht mehr ins Ausland gehen, sondern dass die Schüler jetzt Deutschland intensiver kennen lernen.
Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann unterstützt dieses Ansinnen aktiv. Er hat die Internetseite www.schule-entdeckt-niedersachsen .de ins Leben gerufen, die attraktive Reiseziele zwischen Nordsee und Harz vorstellt. Schüler sollen bald die Möglichkeit haben, die von ihnen besuchten Orte und Kommunen im Internet zu bewerten. Wenn schon eine Deutschlandreise, dann soll sie zumindest den Nerv der jungen Leute treffen. Deshalb haben sich beispielsweise die Kölner Jugendherbergen ein besonderes Programm für Schüler ausgedacht: ob „Kölner Kult-Tour“, „Römer-Mythos-Tour“, oder die „Power-Mix-Tour“. Eine Fahrt in die rheinische Dommetropole wird etwa mit einem Besuch bei der RTL-Charts-Show „Top of the Pops“ oder einem „Schauspielschnupperkurs“ verbunden. Über den pädagogischen Sinn solcher Ziele darf gerne gerätselt werden. Immerhin stehen dann noch ein Besuch im „Haus der Geschichte“ in Bonn sowie eine Führung durch die Produktion des WDR an. Kostenpunkt für fünf Tage pro Schüler: 142,50 Euro.
SIMONE KUDLA ist Journalistenschülerin und lebt in Köln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen