Spontanes Comeback

Dortmund siegt in Hannover mit 3:0. Lars Ricken beendet dabei seinen sportlichen Vorruhestand mit zwei Toren

HANNOVER taz ■ Hannover. Achtung für die Kameraleute. Er kommt! Nur der Trommelwirbel fehlte, ansonsten war es perfekt, wenn auch ungewollt, inszeniert. Zuerst waren nur die Schuhe und die dreckigen Stutzen zu sehen. Dann kam der ganze Lars Ricken zum Vorschein. Scheinwerfer an, Kamera läuft, Ton ab: der einst als Borussia Dortmunds jüngster Rentner verspottete Mann war nach dem souveränen 3:1-Sieg des BVB bei Hannover 96 gefragt wie kein zweiter.

„Wann hast du deinen letzten Doppelpack gemacht?“, fragte ein Dortmunder Journalist, der von den 267 Fußball-Bundesligaspielen und 42 Toren Lars Rickens fast alle gesehen hat. „Letztens hast du noch nachgeguckt, wann ich zum letzten Mal 90 Minuten gespielt habe“, konterte Ricken. Er schmunzelte, bevor er die Antwort gab: „Es war gegen Nürnberg. Ist lange her.“

Als die Bundesliga in die Weihnachtspause ging, war Ricken im Grunde nur noch ein Stück Geschichte des Ballspielvereins Borussia. In Dortmund geboren, kam er über die Jugend des BVB mit 17 Jahren zu seinen ersten Profieinsätzen, mit 19 war er zweifacher Deutscher Meister. Ricken schoss unvergessene Tore im Europapokal für den BVB, darunter das 3:1 im Finale der Champions League 1997 gegen Juventus Turin. Er drehte auch einen unvergessenen Werbespot, in dem er „Männer in Nadelstreifen“ sah, die für die Kommerzialisierung des Fußballs standen. Diese Männer sorgten dafür, dass Ricken heute bei vernünftiger Geldanlage ein steinreicher Mann sein müsste, denn sein Vertrag, der im kommenden Sommer ausläuft, ist glänzend dotiert. Die Gegenleistung in den vergangenen Jahren war eher spärlich. Als Matthias Sammer im Jahr 2000 Trainer wurde, hatte der Abstieg schon längst begonnen. Der Trainer versprach, seinen ehemaligen Zimmernachbarn auf den rechten Weg zu bringen, doch er schaffte es nicht. Seine WM-Teilnahme 2002 war schon vielen ein Rätsel, spielen durfte er in Japan und Südkorea keine Sekunde.

Mit dem neuen Trainer wurde es dann im Verein noch schlimmer. Bert van Marwijk plante ohne Ricken, und er machte keinen Hehl daraus. Die Verbindung Borussia Dortmund und Lars Ricken, heute 28 Jahre alt, schien beendet. Erst recht, nachdem der Spieler in einem Interview sagte: „Der Trainer schadet nicht nur mir, sondern auch dem Verein, wenn er mich nicht aufstellt.“ Van Marwijk schmiss Ricken deshalb aus dem Kader.

Als Ricken in der Winterpause ein Angebot des schottischen Klubs Glasgow Rangers ausschlug, stand er als Abzocker da. Seine Ansage, sich durchbeißen zu wollen, wurde müde belächelt. Am Samstag grinste Ricken, bevor er sich in scharfem Ton an die müden Lächler wandte: „Das war kein hohles Geschwätz. So will ich den Verein nicht verlassen.“ Gleich im ersten Spiel der Rückrunde stand er in der Startelf. Der Auftritt in Hannover mit zwei Toren sei „ein weiterer Schritt“ gewesen.

Was im Winter zwischen Spieler und Trainer genau passiert ist, will van Marwijk für sich behalten: „Das bleibt unter uns.“ Jedenfalls „hat er es kapiert“, sagte der Holländer. Ricken wurde in der AWD-Arena von Minute zu Minute selbstbewusster. In der zweiten Halbzeit war er sogar nahe am Übermut, er zog häufig von der linken Angriffsseite in die Zentrale hinter den Spitzen, seiner Lieblingsposition.

So zeigte sich auch auf dem Platz der Führungsanspruch, den Ricken inzwischen wieder für sich beansprucht. „In der Woche haben ein paar Spieler zusammen gesessen und gesagt: Wir müssen vorangehen“, plauderte Ricken aus. Gehörte er auch diesem Zirkel an? Ricken wirkte verlegen, grinste, zuckte mit den Schultern und sagte leise: „Jo.“ Achtung, Lars Ricken ist wieder da. MARCUS BARK