Ende der Freiheit

JEMEN Die Regierung schließt Zeitungen und stellt 30 Journalisten vor Sondergerichte – „Einrichtungen zum Schutz der Presse“

VON KERSTIN GRIESSMEIER

„Wir haben mehr Demokratie und Möglichkeiten, uns auszudrücken, als in allen Ländern der Region“ – so optimistisch äußerte sich die Chefredakteurin der Yemen Times, Nadia al-Sakkaf, noch vor einem Jahr. Der Jemen gilt nicht gerade als Zentrum der Freiheit, dennoch konnten Journalisten dort ihrem Beruf relativ ungehindert nachgehen. In der einzigen Republik auf der Arabischen Halbinsel gibt es neben den staatlichen auch zahlreiche private Zeitungen, und der Journalistenverband trat stets mutig auf. Gefährlich wurde es für Journalisten am ehesten dann, wenn sie hohe Stammesvertreter direkt kritisierten und deren Rache fürchten mussten.

Doch seit einigen Wochen hat sich die Lage für kritische jemenitische Journalisten radikal verändert: Die Regierung unter Präsident Ali Abdullah Saleh steht angesichts der jüngsten Konflikte mit Separatistengruppen im Süden des Landes unter Druck. Um Autorität zu demonstrieren, bekämpft sie kritische Berichterstattung mit radikalen Mitteln. Anfang Mai erging ein Verbreitungsstopp gegen sieben Zeitungen, ihre Internetauftritte wurden gesperrt, Redaktionsgebäude von Soldaten umstellt, Kioske geräumt und Journalisten und Herausgeber verhaftet. Die Blätter hatten über die Unruhen im Süden berichtet. Die Organisation Article 19, die sich für die Pressefreiheit einsetzt, kritisiert dieses Vorgehen: „Zeitungen ohne Gerichtsentscheid zu schließen, verstößt gegen die jemenitische Verfassung“ erklärt Sae’da Kilani.

Die rechtliche Grundlage für den Maulkorb ist das Pressegesetz. Es verbietet eine Berichterstattung, die „höhere nationale Interessen“ verletzt, sowie Inhalte, die „Hass und Spaltung der Gesellschaft“ verbreiten oder „der jemenitischen Einheit schaden“ – dehnbare Begriffe, die sich vielfältig auf kritische Berichterstattung anwenden lassen. Derzeit steht 30 Journalisten ein Prozess bevor.

Dass es zu fairen Verfahren kommt, bezweifeln die Anwälte der Betroffenen sowie Menschenrechtsorganisationen. Um kritischen Journalisten schnell den Prozess zu machen, hat das Justizministerium Sondergerichte für Pressevergehen eingerichtet. Sie stehen außerhalb des regulären Gerichtssystems, und Justizminister Ghazi Schajef al-Aghbari nennt sie „Einrichtungen zum Schutz der Presse“.

Auf die betroffenen Journalisten wirkt das wie blanker Hohn: der Journalistenverband und Menschenrechtsorganisationen protestierten anlässlich des jemenitischen Pressetags am vergangenen Dienstag gegen deren Dienste. Laut dem Vorsitzenden der jemenitischen Menschenrechtsorganisation HOOD, Mohammed Naji Allaw, gebe es kein weiteres Land mit eigenen Pressegerichten. Deren Richter seien willkürlich ausgewählt. So wolle man verhindern, dass von einem regulären Gericht entlastete Journalisten zu Helden würden.

Article 19 spricht von „systematischen Angriffen“ auf die Pressefreiheit. Völlig anders sieht das Jemens offizielle Freiheitswächterin, die Ministerin für Menschenrechte, Huda al-Ban. Sie erstattete jüngst über die Lage im Land beim Internationalen Gerichtshof Bericht: Diese „Einzelfälle“ müsse man vor dem Gesamtkontext betrachten. Und der sei positiv: Immerhin hätten in zwei Jahren 32 Zeitungen eine Lizenz erhalten. Zudem vermeldet al-Ban einen starken Anstieg von Internetcafés und Blogs, was eine „direkte Umsetzung der Informations- und Ausdrucksmöglichkeiten“ sei. Allerdings eine, deren Kritik weitgehend ungehört bleibt: Nur rund 1,3 Prozent der Jemeniten haben einen Internetanschluss.