Ohne Migrationshintergrund!

INTEGRATION Die jungen „Deuken“, Deutsche und Türken zugleich, kämpfen mit ihrem Verein für das Selbstbewusstsein einer neuen Generation

„Viele junge Türken bedienen Klischees, weil sie meinen, sie bedienen zu müssen“

Aylin Selçuk, Deukin

VON BETTINA MALTER

Aylin Selçuk spricht gut Deutsch. Loben sollte man sie dafür nicht. Dann reißt sie die Hände in die Luft, ihr Blick wird starr, und ihre Stimme bekommt einen aggressiven Unterton. „Dass auch Türken die deutsche Sprache beherrschen, muss doch mal Alltag werden.“

Aylin Selçuk, in Berlin geboren, ist zwanzig und studiert Zahnmedizin. Vor zwei Jahren – sie war damals noch Abiturientin – gründete sie „die DeuKische Generation“. Einen Verein, deren Mitglieder von ihrer Herkunft her Deutsche und Türken sind und die sich „Deuken“ nennen.

Das klingt anders als: Menschen mit Migrationshintergrund. „Wer das benutzt, blickt zurück auf eine längst verlorene Heimat“, sagt Selçuk. Die jungen Deuken aber haben eine Heimat. Mit ihrem Verein möchten sie zeigen, dass Deutschland der Mittelpunkt ihres Lebens ist – auch wenn ihre Eltern oder Großeltern aus der Türkei kommen. Und dass es auch ein Leben jenseits der Klischees gibt, die bis heute den Diskurs um Migration prägen: Unterdrückte Frauen, Ehrenmorde, Zwangsehen. „Nur wenn wir miteinander reden, können wir Bilder im Kopf verändern“, sagt Selçuk.

Ein Treffen der Deuken mit Schülern und Schülerinnen aus Halle. „Fragt uns, was ihr Leute, die ausländische Namen haben, immer schon fragen wollt“, ermuntert Volkan Ersoy die Jugendlichen. Sie sitzen in einem großen, hellen Raum des Türkischen Unternehmerverbands in Berlin. Oben an der Stuckdecke hängt ein Kronleuchter. Den Raum dürfen die Deuken manchmal nutzen, aber die Umgebung schüchtert ein.

Wie findet ihr uns?

Nur schleppend läuft das Gespräch an. „Kennt ihr Leute mit türkischen Großeltern?“, fragt Ersoy in die Runde. Stille. „Wie findet ihr uns?“, fragt Selçuk in die Runde. „Ihr seht so aus wie wir“, sagt ein trotzig blickender Junge, und es klingt mehr nach Vorwurf denn Verwunderung. „Was habt ihr erwartet?“, fragt Selçuk. „Dass ihr anders ausseht“, raunt einer der Schüler.

„Wie denn?“ Langsam kommen die ersten Fragen: Dürfen Frauen bei euch allein in die Disko? „Schöner finde ich es, wenn ich mit Freundinnen zusammen ausgehe. Geht jemand von euch gern allein in die Disko?“, antwortet Selçuk. Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Warum tragt ihr kein Kopftuch? Stimmt das, dass eure Eltern für euch die Ehepartner aussuchen? Wo habt ihr Deutsch gelernt? Wie ist es, wenn man beschnitten ist?

Aylin Selçuk wuchs in Wilmersdorf auf und machte ihren Schulabschluss auf einem Gymnasium im Grunewald. Für ihre Abiturprüfung musste sie ein Referat halten und wählte das Thema „Migrantenkinder in Problemvierteln“. Da verstand sie zum ersten Mal, dass Migrantenkinder manchmal nur Klischees bedienen, weil sie meinen, sie bedienen zu müssen. Selçuk erzählt von Ali. Er ist aggressiv, sagt sie, weil er in Neukölln lebt. Er interessiert sich nicht fürs Lernen, weil Türken sich nicht fürs Lernen interessieren. „Da habe ich mich gefragt: Würde ich Zahnmedizin studieren, wenn ich nicht so bildungsbewusste Eltern hätte, wenn ich in Neukölln und nicht in Wilmersdorf aufgewachsen wäre?“ Deshalb auch das Elternlotsenprojekt. Da gehen die Deuken zu den türkischen Familien nach Hause und erklären ihnen auf Türkisch die Möglichkeiten, die ihre Kinder im deutschen Schulsystem haben. Umgekehrt sprechen die Deuken mit Lehrern, um sie für die türkische Kultur zu sensibilisieren.

Güner Balci hat dreizehn Jahre als Sozialarbeiterin in Neukölln für den Verein MaDonna Mädchenkult gearbeitet. Ihre Erfahrungen hat die heute freie Journalistin in ihrem Buch „Arabboy“ verarbeitet. Sie mag den Ansatz der Deuken nicht, findet es falsch, dass Türken Türken helfen. „Das mag in den 80er-Jahren gut gewesen sein, aber jetzt muss auch die deutsche Gesellschaft Verantwortung übernehmen“, sagt die geborene Neuköllnerin. Für sie ist die DeuKische Generation ein „türkischer Abiturientenverein“, der nichts „Weltbewegendes“ sei. „Eine Elite, die die Realität leugnet. Sie kämpfen gegen Vorurteile, die in Wirklichkeit die Lebensrealität vieler Jugendliche mit Migrationshintergrund sind.“ Kindern aus sozial schwächeren Familien sei mit diesem Verein nicht geholfen, meint sie.

So wie Güner Balci äußern sich nur wenige. „Hinter der DeuKischen Generation steht eine tolle Idee“, sagt Cem Özdemir, Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. „Wenn sie Akademiker werden, wächst daraus auch Verantwortung für die Gesellschaft.“ Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, unterstützt die DeuKische Generation mit Leidenschaft. „Die Deuken vermitteln: Wir gehören dazu und wollen mitgestalten“, sagt sie. „Das ist großartig.“

Das Schöne ist der Mix

Güner Balci glaubt, diese Begeisterung zu verstehen. „Diese jungen Menschen sind die Idealbilder, wie sie sich die Deutschen wünschen“, sagt sie. Aylin Selçuk hält dagegen. „Unser Ziel ist ja gerade, auch die Schwächeren mitzunehmen.“ In dem Verein, der mittlerweile 60 Mitglieder hat, sind nicht nur Gymnasiasten, Berufstätige, Studenten, sondern auch Hauptschüler. „Das schöne ist der Mix. Wir lernen gegenseitig voneinander.“

Durch ihre Begegnung mit Hauptschülern hat Aylin Selçuk zum Beispiel verstanden, dass es vielen türkischstämmigen Jugendlichen in Deutschland an Vorbildern fehlt. Vorbilder, die ihnen zeigen, dass es auch einen anderen Weg gibt, sich in einer Gesellschaft zu verankern. Als Teil der Gemeinschaft, nicht als Außenseiter. „Jeder kann Deuke sein“, sagt Selçuk. Gespräche mit Politikern und Medienarbeit sind für sie sehr wichtig geworden. Am vergangenen Mittwoch kam ihr erster Werbefilm heraus.

Die SchülerInnen aus Halle sind überrascht. „Wir haben heute wirklich über vieles geredet“, sagt eine 15-Jährige. „Die Antworten waren so, wie ich sie auch gegeben hätte.“ Auch die anderen sagen: Solche Begegnungen sollte es häufiger geben.