Fusion im Topf, Konfusion im Kopf

KÜCHENINFERNO Wenn Mango-Wasabi-Gelee auf Eisbein trifft: Wie viel Fusion ertragen wir beim Essen?

Lokal: „Fusion Food“ entstand in den 70er-Jahren in Kalifornien. Die dort lebenden Asiaten waren beim Kochen oft auf amerikanische Zutaten angewiesen – die unterschiedlichen Küchen „fusionierten“.

Global: Seit der Jahrtausendwende finden sich Crossover-Köche auch in Kiew, Kairo und Köln-Porz – dank Asia-Shops und arabischen Supermärkten. Die Welt wird zum Wok.

Fatal: Gourmets beklagen häufig die Wahl- und Lieblosigkeit der Zutaten und Speisen. Es gehe nur um Trends. Der Genuss bleibe auf der Strecke.

Optimal: „Fusion Food“ erfreut Laien. Erlaubt ist, was gefällt. Die Reste im Kühlschrank ergeben oft ein exotisches Drei-Gänge-Menü.

VON TILL EHRLICH

Bekanntlich sind die meisten globalen Fusionen in der Wirtschaft zum Scheitern verurteilt. Am Anfang feiert sich das Management zwischen Euphorie und Größenwahn noch selbst, während intern die Angst vor der Verschlankung bereits umgeht. Später, bei der weniger glamourösen Trennung, ist dann kleinlaut von unvereinbaren Unternehmenskulturen die Rede. Auch beim Kochen dreht sich viel um das Fusionieren kulinarischer Ideen und Identitäten. Ungebrochen ist die Lust, alles Mögliche und Unmögliche miteinander zu kombinieren.

Stress auf dem Teller

Doch wer fusioniert eigentlich auf dem Teller mit wem? Das Mediterrane mit der deutschen Deftigkeit, das Bodenseefelchen mit dem Pestospätzle? Geht es um den Zusammenprall von europäischen und asiatischen Esskulturen oder um eine Erosion tradierter Ernährungsgewohnheiten? Spätestens seit Ende der Achtzigerjahre hat die Fusionswelle in der Gastronomie die übersichtliche Steak- und Pasta-Einfalt gründlich aufgemischt. Seitdem wird vor allem die asiatische Küche mit ihrer in Grenzbereiche vordringenden Schärfe und exotischen Würze bei gleichzeitiger Leichtfüßigkeit und Aromenintensität als starker Kontrast zur europäischen Wohlfühlküche eingesetzt. Während bei uns das sogenannte Bodenständige gesucht wird, kommen die Asiaten beim Kochen bei sich an, indem sie die Aromen und Konsistenzen zuspitzen.

Die vermeintlich schwerfällige deutsche Regionalkost asiatisch und molekular aufzupeppen ist in vielen Restaurants der mittleren bis gehobenen Art inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Man denke nur an Makrele mit Pulpogelee und Apfelbalsamico, Bambusspitzen mit Grünkohlpesto, Eisbein mit dem Klecks giftgrüner Wasabisauce, Wiener Schnitzel mit Zitronen-Gelee-Würfelchen. Auch Spitzenköche wie Stefan Steinheuer oder Tim Raue sind promotionträchtig ganz vorn dabei. Doch so selbstverständlich, wie es scheint, ist das alles bei Weitem nicht.

Immerhin wird die Identität von Speisen verändert, die sich meist über lange Zeiträume hinweg in einem engen lokalen Zusammenhang gebildet hat. Ungeschriebene Gesetze werden gebrochen. Als Deutschland noch autoritärer und enger war, war das undenkbar. Meine Großmutter hätte noch einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn ich ihr Lieblingsessen, Karpfen blau mit Salzkartoffeln und Sahnemeerrettich, kreativ mit Zitronengras und Chili gewürzt und dann noch duftigen Ingwerschaum aus dem Fischsud gezaubert hätte. So was durfte man nicht. Genau das aber war so reizvoll.

Generell darf man beim Kochen alles – wie bei allen Leidenschaften. Ob man es immer tun muss, ist etwas anderes. Die Lust am Essen entspricht der lustgesteuerten Freiheit beim Kochen, die Dinge sinnvoll zusammenzubringen, egal ob das nun im akzeptierten Kanon liegt oder nicht. Die eigene Tradition und Gewohnheit infrage zu stellen, bedeutet immer auch eine Chance der Weiterentwicklung.

Dennoch führt das „Anything goes“ am Herd oft in die lustlose Sackgasse. Wasabi schmeckt toll zu Sashimi oder Makiröllchen. Aber zu Eisbein passt eben ein scharfer Düsseldorfer Senf besser, weil er neben der schweißtreibenden Schärfe die nötige Essigsäure und Salzigkeit mitbringt, die Wasabi abgeht. Das glibberige, fette Eisbein braucht den gemeinen Senf als Gegenpart. Auch die norddeutsche Makrele mit Pulpogelee ist doppelt gemoppelt; eine Redundanz fischiger Geschmäcker, deren Konsistenzen und Aromen nicht wirklich zusammenpassen. Und was das Zitronengelee zum Wiener Schnitzel betrifft: Purer Zitronensaft ist schmackhafter als ein geliertes Zitronensaftwürfelchen; Saft wirkt intensiver und unmittelbarer in Verbindung mit dem Schnitzel und seiner krossen Panade.

Schnitzel hat eine eigene Fülle, auch wenn es nichts Neues ist. Ebenso schwäbische Spätzle, auf deren schwarze, mit Oktopusblut gefärbte Variante man gut verzichten kann. Auch auf Maultäschle mit Ricotta-Erdnuss-Füllung hat die Welt nicht unbedingt gewartet. Das Resultat schmeckt zwar irgendwie, ist aber verzichtbar. Die Fusionswelle hat rein geschmacklich gesehen nicht viel gebracht, weil das meiste in der Beliebigkeit stecken bleibt.

Ein in sich stimmiges Gericht ergibt sich nicht aus fantasievoller Kombination allein, sondern aus einer überraschenden Vereinigung von Substanz und Fülle. Daher hat die Begegnung mit exotischen Zutaten in der regionalen Küche meist eine Illusionen fördernde Funktion: zum Beispiel die, man habe etwas Neues geschaffen. Trotzdem liegt auch eine Möglichkeit darin, die Kräfte fremder Produkte für die Weiterentwicklung einer lokalen Küche zu nutzen, wie das etwa mit Kartoffeln, Spargel, Tomaten, Paprika oder Reis geschehen ist.

Sinnvoll kann eine Fusion sein, wenn zwei schwache Komponenten zusammentreffen. Gerade Mangold, der ja solo nicht unbedingt ein geschmackliche Offenbarung ist, schmeckt gut in einem Putenragout, das so einen raffinierten Ton und einen schön anzusehenden Farbkontrast bekommt. Die karge Polenta gewinnt, wenn man sie mit Mangold verbindet. Zwei Schwache können sich verstärken und sich gegenseitig ergänzen.

Vorsicht, Fusionswahn: Bambusspitzen mit Grünkohlpesto, Wiener Schnitzel mit Zitronen-Gelee-Würfelchen

Entspannte Koexistenz

Neben dem Fusionswahn gibt es die zunehmende Tendenz, alles parallel und autonom koexistieren zu lassen – etwa thailändische neben österreichischer Küche –, ohne dass man es zusammenrührt. Hier bedeutet die Trennung mehr Genuss.

Warum ist die österreichische Küche derzeit so beliebt? Sie steigert das, was die Italiener perfekt können: aromatische Produkte in einer Geschmacksfülle zusammenzubringen. Mehlspeisen wie Marillenknödel oder Kaiserschmarrn können bei liebevoller und gekonnter Zubereitung im Mund eine derartige Intensität auslösen, dass hier asiatische Zutaten die Sache nur verderben, nicht aber verbessern. Einen Knödel kann man natürlich mit Litschi oder Mango füllen. Doch das kommt nicht an den traditionellen Marillenknödel heran. Und eine Makirolle wird durch Mayonnaise einfach nur versaut.

Dies sich ehrlich einzugestehen gehört ebenfalls zur kulinarischen Freiheit.