„Speerspitze der Underdogs“

BASKETBALL Alba Berlin muss sich im Play-off-Halbfinale Bonn geschlagen geben – vor 15.000 Zuschauern in eigener Halle. Unbeeindruckt von der Kulisse treffen die Baskets fast nach Belieben und brüskieren den deutschen Meister des Vorjahrs

„Wir haben nach dem Motto gespielt: Totgesagte leben länger“

MICHAEL KOCH, BONNS TRAINER

BERLIN taz | Genau 2,9 Sekunden vor der Schlusshupe trafen sich die Hände der beiden Trainer. Luka Pavicevic erklärte seine Kapitulation. Michael Koch akzeptierte. Das Spiel war ohnehin entschieden. 71:82 hatte Alba Berlin, der Meister, in eigener Halle vor der Rekordkulisse von fast 15.000 Zuschauern verloren. Die Baskets Bonn stehen im Finale, am Sonntag bestreiten sie die erste Partie gegen Oldenburg (19.30 Uhr, Eurosport). Viermal hat Bonn in den Play-offs gegen Berlin verloren, jetzt haben sie die schwarze Serie beendet. „Wir waren ja der Play-off-Vize der Nation“, sagte Koch nach dem Spiel, also das Bayer Leverkusen der Basketballszene. Dieses Image möchten sie abstreifen. Baskets-Präsident Wolfgang Wiedlich hat bereits die Idee für ein neues Image: „Wir sind die Speerspitze der Underdogs in der Liga, und es belebt immer jede Sportart, wenn das Unwahrscheinliche passiert.“

Tatsächlich schien Alba im Vorteil. Berlin hatte einen 0:2-Rückstand in diesem Halbfinal-Duell aufgeholt, ein fünftes Spiel erzwungen. Zum ersten Mal war die Halle am Ostbahnhof ausverkauft, die Kulisse war für ein Basketballspiel in Deutschland Respekt einflößend groß. Das Momentum, wie es in der amerikanischen Sportsprache heißt, war eigentlich auf der Seite von Alba Berlin. Doch es kam anders. „Das Momentum ist eben relativ“, sagte Albas Sportdirektor Henning Harnisch. Bonn, clever gecoacht von Koch, spielte konzentriert, athletisch, effektiv. Obwohl Koch wusste, dass sein Team müde war nach dieser auszehrenden Serie, mobilisierten es letzte Kräfte. Der korpulente Center John Bowler warf sich ins Getümmel, als hätte ihm der Coach bei mangelnder Einstellung eine Diät angedroht. Die Dreierschützen um den formidablen Winsome Frazier und Vincent Yarbrough, die noch in Spiel eins mit einer Horrorquote (17 Prozent) aufwarteten, steigerten sich auf sehr beachtliche 58,8 Prozent. Allein 30 Punkte erzielte Bonn von der Dreierlinie, Alba nur 12.

Für den Höhepunkt des Schützenfests sorgte Frazier, als er aus ungefähr acht Metern den Ball im Korb versenkte. In dieser Phase war Bonn auf 20 Punkte davon gezogen, das 55:35 aus Drittel drei schien die Logik dieser umkämpften, engen Basketballschlachten auf den Kopf zu stellen. Bonn wiegte sich aber noch nicht in Sicherheit. „Diese 20 Punkte Vorsprung, das war das Schlimmste, was uns passieren konnte“, sagte Koch, wohlwissend, dass seine Mannschaft im Gefühl der komfortablen Führung oft „aufhört, Basketball zu spielen, wir spielen besser, wenn wir zurückliegen“. Alba kam noch einmal auf 7 Punkte heran, mehr war nicht drin. Bonn ließ sich den Sieg nicht nehmen. Es war wohl eine Frage der Einstellung. Coach Koch hatte seinen Spielern unbedingten Siegeswillen eingeimpft. Doch nicht nur der Auftritt der Profis vom Rhein war beeindruckend, auch der von Rhythmusgeber Koch; er bewies Übersicht an der Seitenauslinie, intervenierte punktgenau.

Kochs Widerpart Pavicevic hampelte zwar wie Rumpelstilzchen an der Seitenauslinie herum, seine Mannschaft aber spielte, „ohne Saft und Leidenschaft“, nicht „spicy“, wie Pavicevic betonte. Der fehlende Biss im Entscheidungsspiel könnte dramatische Folgen haben für Alba Berlin. Der Meister war angetreten, den Titel zu verteidigen und wieder in der Europaliga zu spielen. Der Titel ist weg, die Teilnahme in Europas Eliteliga fraglich. Möglicherweise bekommt Alba eine Wildcard, aber wer weiß, ob’s klappt. Falls nicht, läuft der Verein Gefahr zu stagnieren – just zu einem Zeitpunkt, als Alba Berlin sich rühmt, den höchsten Zuschauerschnitt unter Europas Basketballteams zu haben: 10.406. Man wird sehen, ob Alba eine Chance verpasst hat, die Basketballbegeisterung auf ein neues Niveau zu heben.

„Dieser Sieg in Berlin setzt Kräfte frei, das ist Futter fürs Gehirn“, sagte Michael Koch. Ihm war es wichtig, auch die Leistung seiner deutschen Spieler zu hervorzuheben, die von Johannes Strasser, Artur Kolodziejski und Alex King. „Ich habe als deutscher Trainer eine gewisse Verantwortung“, sagte er – und forderte die Einführung der 4-plus-1-Regel, der zufolge immer ein Spieler mit deutschem Pass auf dem Feld stehen müsste.

Das wird vielleicht in der nahen Zukunft einmal geregelt, vorerst steht Videostudium für Michael Koch auf dem Programm und für die Mannschaft „ein bisschen Anschwitzen“.

MARKUS VÖLKER