ausgehen und rumstehen
: Doch nicht so sexy: Das Nachtleben mit Gipsarm

Diese Kolumne entwickelt sich zu einer echten Herausforderung. Schlimm genug, dass an den Wochenenden ohne Schreibauftrag immer mehr los ist als an denen mit. Es kommt aber noch schlimmer.

Vor zwei Wochen hätte ich an dieser Stelle fast von der Modenschau eines jungen Berliner Labels berichtet, bei der ein Flamenco-beschuhter Geräuschemacher auf einem Haufen Glasscherben am Rande des Catwalks die Schritte der Models nachtrat. Ich hätte bestimmt darüber geschrieben, wie gut dieses ätherische Knirschen mit den Räumen der tschechischen Botschaft in der Wilhelmstraße harmonierte, wo das Defilee stattfand. Stanley Kubrick wäre auch vorgekommen; der hätte diese innenarchitektonische Zauberei aus bedingungslosem Siebzigerjahre-Futurismus und böhmischer Gemütlichkeit bestimmt gemocht. Leider musste ich den Job am Ende aber dem ebenfalls anwesenden Kollegen Lottmann überlassen, ein alter Hase, der die Geschichte natürlich in Windeseile an eine auflagenstärkere Publikation verschachert hat.

Schuld an diesem Totalausfall ist eine langwierige und äußerst lästige Krankheit, die ich mir an ebendiesem Wochenende zugezogen habe: Sie heißt Gipsarm. Es handelt sich dabei um ein Leiden, das ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche, wie ich inzwischen weiß. Nicht nur, dass das steife blaue Ding Tag und Nacht wie eine übergroße Sandkastenschaufel aus einer meiner Körperhälften ragt. Es vereitelt darüber hinaus auch ein ungezügeltes Ausgehen, wie es dieses Format eigentlich verlangt, was unter anderem daran liegt, dass man einarmig nicht mal mehr duschen kann.

Also krame ich am Freitag den verstaubten Atlas mit den Stammkneipen hervor. Ich möchte wenigstens die Theorie eines Freundes überprüfen. Der behauptet, dass Gipsarme auf manche Menschen eine unwiderstehliche sexuelle Anziehungskraft ausübten. In der 8-mm-Bar erntet meine Behinderung allerdings etwas, das eher nach Mitleid aussieht: Der freundliche Barjunge greift ungefragt nach meinem Portemonnaie, kramt einen Schein raus und steckt anschließend das Wechselgeld zurück. Trinkgeld kommt nicht in Frage: „Doch nicht von Kranken!“, wie er sich ausdrückt. Nichts wie weg hier, weiter ins White Trash, vielleicht „Polylux“-Moderatorin Tita von Hardenberg unter dem Tisch liegen sehen, die den Laden laut zitty „ganz toll“ findet.

Es ist aber nur der brüllende Pop-Stammtisch da, den ich an dieser Stelle vor einiger Zeit bereits beschrieben habe. Heute geht es mal wieder besonders hoch her: „Du kannst ‚Silbermond‘ doch nicht verreißen!! Die erste Band seit Jahren, bei der die Sängerin Normalgewicht hat!!“, schallt es mir unter anderem vorwurfsvoll entgegen. Ich flüchte zu einem für seine Sanftmut bekannten Umstehenden, er ist nicht umsonst Experte für Neue Musik.

Am Samstagabend kennt jemand meine Bedürfnisse und lädt mich zum Fernsehen ein: Sie zeigen eine Doku über den Opernball-Streit zwischen „Mörtel“ und „Mausi“ Lugner und der Witwe Gsell. Die Witwe und Hohenzollern-Prinz „Foffi“ haben sich für die Presse in ein barockes Hotelbett gesetzt, darüber hängt ein Plakat mit der Aufschrift „www.peace@opernball.de“, während ein PR-Mann den beiden Ahnungslosen sein John-und-Yoko-Konzept erklärt.

Die im Anschluss benötigte Frischluft sammle ich auf dem Weg ins Ausland in der Lychener Straße. Dort legt DJ Asphalt Tiger sehr seltenen Wave für Kassettensammler auf. Mein starrer Arm, nach wenigen alkoholischen Getränken bereits bedenklich angeschwollen, leuchtet im Schwarzlicht wie ein Mahnmal. Ich glaube, er will nach Hause.

LORRAINE HAIST