Die Lümmel

Auf Vox startet heute die neue High-School-Serievon „Ally McBeal“-Erfinder David E. Kelley (17 Uhr)

Allein die Vorstellung ist vielleicht einfach zu unattraktiv. Aber auf die Idee, eine Unterhaltungsserie über den Alltag an einer bundesdeutschen Hauptschule zu drehen, ist das hiesige Fernsehen noch nicht gekommen. Alles, woran man sich in dieser Richtung erinnert, ist „Unser Lehrer Doktor Specht“ im ZDF – oder wie „Unser Lehrer Doktor Specht“ unter anderem Namen: Ob „Silvia – Eine Klasse für sich“ (Sat.1) oder „Unsere Schule ist die beste“ (RTL), ja selbst deutlich kernzielgruppenorientiertere Serien wie „18 – allein unter Mädchen (Pro7), „Schulmädchen“ (RTL) oder „Sabine!!“ (ZDF!!) spielten wie selbstverständlich an Gymnasien mit niedrigem Ausländeranteil und hoch motivierten Pädagogen.

Wenn unser Unterhaltungsfernsehen in die Schule geht, sind die Repertoires der Plots und Charaktere begrenzt, die Probleme meist Problemchen, die Serien selbst familientauglich, farbenfroh und heiter wie das „Traumschiff“. Da ist „Boston Public“ schon anders. Die US-Serie, die Vox ab heute (statt „Profiler“) im Vor-Vorabendprogramm zeigt, wirkt düsterer, realitätsnäher, problemorientierter.

Wobei: So richtig anders ist „Boston Public“ eigentlich gar nicht, düsterer vielleicht, realitätsnäher, problemorientierter und von „Ally McBeal“- und „Chicago Hope“-Erfinder David E. Kelley produziert: Es gibt einen engagierten Direktor, eine engagierte Sekretärin, eine engagierte Junglehrerin, in die wiederum der engagierte Vizerektor verliebt ist, einen engagierten Junglehrer, der was mit einer lolitahaften Schülerin hat, eine eigentlich engagierte Lehrerin, die ihren Job aber nur mit Psychopharmaka erträgt, einen engagierten, aber alten, altmodischen, jüdischen Lehrer, eine engagierte Lehrerin, die ihre Schüler sexy finden, und dergleichen mehr – bzw. nichts, was uns (mit ein wenig kultureller Abstraktion) aus dem TV-Kollegium des Doktor Specht, ja vielleicht sogar aus dem „Fliegenden Klassenzimmer“ oder der „Feuerzangenbowle“ nicht bekannt vorkäme.

An der Winslow Public School in Boston wird sich ein bisschen mehr angebrüllt. In Klassen- und Lehrerzimmer gibt es deutlich mehr Schwarze als beispielsweise an der Anne-Frank-Schule in Hannover. Die Eltern kommen ein bisschen schneller mit dem Anwalt in die Sprechstunde, wenn ihnen was nicht passt. Und natürlich ist eine „Public School“ etwas anderes als eine Hauptschule – auch im Fernsehen. Fernsehen auf Hauptschulniveau hingegen gibt es leider auch hierzulande mehr als genug – sogar zeitgleich zu „Boston Public“. (Schauen Sie doch mal in Ihre Programmzeitschrift!) Aber das ist ein anderes Thema.

CHRISTOPH SCHULTHEIS