Mit den Schurken an einem Tisch

AUS RIAD KARIM EL-GAWHARY

Man habe sich schon ein wenig über die Einladung nach Saudi-Arabien gewundert, erklärt ein europäischer Sicherheitsexperte in Riad. Ausgerechnet das Land, aus dem 15 der 19 Attentäter des 11. September stammen, hat zu einer viertägigen internationalen Antiterrorkonferenz geladen. „Wir sind vor allem gekommen, weil wir neugierig waren, was die Saudis zu bieten haben“, gibt der Sicherheitsexperte, der anonym bleiben möchte, offen zu.

Statt Politiker wurden Sicherheits- und Antiterrorexperten aus 50 Ländern nach Riad eingeladen, um in Arbeitsgruppen praktische Handlungsanweisungen zu debattieren. „Als Basar der Ideen“, beschreibt der britische Botschafter in Saudi-Arabien, Sherad Cowper-Coles, das Treffen, dessen Vorteil es sei, dass nicht Politiker, sondern Fachleute zusammenkommen.

Doch wo die „Guten“ aus Washington mit den Vertretern der „Achse des Bösen“ zusammensitzen, blieb die Kontroverse nicht aus. Hinter verschlossenen Türen kam es zwischen der US-Delegation, angeführt von Frances Townsend, einer Beraterin des US-Home-Security-Ministeriums, und den iranischen und syrischen Delegationsmitgliedern zu heftigen Wortwechseln über die Definition, wo legitimer Widerstand gegen eine Besatzung aufhört und wo Terror beginnt.

Am Ende kühlte ein japanischer Delegierter die Gemüter, der die Definitionsfrage als fruchtlos bezeichnete. „Was wir brauchen, ist nicht der Austausch von Meinungen, sondern gegenseitige operative Gefälligkeiten der Sicherheitsdienste“, forderte der Chef der belgischen Delegation am Rande der Konferenz.

Genau das wurde von den meisten Teilnehmern als Knackpunkt beschrieben. Der saudische Kronprinz Abdullah hatte bei der Eröffnung der Konferenz ein internationales Zentrum zur Bekämpfung des Terrorismus gefordert, ähnlich der Interpol. Doch ein pakistanisches Delegationsmitglied gibt sich skeptisch. Das gegenseitige Misstrauen ist zu groß: „Kein Land wird seine Geheimdienstinformationen mit allen teilen und das gefährden, was es zu seinem eigenen Vorteil gesammelt hat“, sagt er.

Dass die Konferenz trotz dieser Widrigkeiten stattfindet, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass man sich gegenseitig nicht aus den Augen verlieren möchte. Im US-Interesse ist es, die Antiterrorfront trotz aller Rhetorik so breit wie möglich zu halten. Die von Washington gebrandmarkten „Schurkenstaaten“ wie Syrien und der Iran wollen zeigen, dass sie bei dem US-Motto, „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, nicht auf der falschen Seite enden. Und der Gastgeber möchte seine Glaubwürdigkeit als Terroristenjäger untermalen.

Aber an der jeweiligen Heimatfront herrscht unter allen teilnehmenden Ländern Einigkeit: Die Bedrohung durch militante Islamisten wird als Hauptproblem angesehen. Al-Qaida heißt der gemeinsame Feind. Das Gastgeberland, das als eines der wichtigen Rekrutierungsgebiete für Dschihadisten angesehen wird, leidet seit zwei Jahren selbst unter einer Anschlagsserie. Diese richten sich gegen im Königreich arbeitende westliche Ausländer und neuerdings auch gegen saudische Institutionen selbst, wie ein Anschlag auf das saudische Innenministerium letzten Dezember zeigt.

Washington bescheinigt den saudischen Behörden, inzwischen ernsthaft gegen militante Islamisten vorzugehen. „Die Welt kann nicht den Terror besiegen, wenn Saudi-Arabien Extremismus und Terrorismus nicht auf seinem eigenen Boden besiegt“, erklärt Frances Townsend, die Beraterin Bushs für Homeland Security.

Auch wenn die Guerilla im Irak unterschiedlich bewertet wird, sowohl westliche als auch arabische Geheimdienste befürchten, dass die militanten Islamisten, die dort täglich Kampferfahrung sammeln, zum weltweiten Problem werden. So lautet auch die Schlussfolgerung eines im Dezember veröffentlichten Berichts des „CIA National Intelligence Council“. Der Irak könnte Afghanistan als fruchtbaren Boden für militante Islamisten ablösen. Die dort kämpfenden Mudschaheddin fänden derart günstige Bedingungen vor, dass sie ihre Erfahrungen später weltweit anwenden könnten, heißt es dort. „Die Al-Qaida-Führung, die sich durch ihre afghanische Schulen ausgezeichnet hat, wird nach und nach von den erfahrenen überlebenden Kämpfern des Irakkonflikts abgelöst werden“, prognostiziert die CIA. So widerlegt seine eigener Geheimdienst die gerne wiederholte These des US-Präsidenten, dass mit dem Irakkrieg und dem Ende Saddam Husseins das Zweistromland den Terroristen entrissen wurde.

Die CIA geht davon aus, „dass die Mehrheit der terroristischen Gruppen sich meist mit einem radikalen Islam identifizieren werden“. Dazu käme eine wachsende innermuslimische Solidarisierung mit regionalen Konflikten in Palästina, Tschetschenien, Irak, Kaschmir, Mindanao oder Südthailand. Informelle Netzwerke von islamischen Hilfsorganisationen, Koranschulen und die hawalas, traditionelle islamischen Wechselstuben, werden weiter von militanten Islamisten unterwandert werden.

Dezentralisierung des Terrors

Der US-Geheimdienstbericht erwartet, dass die Bekämpfung der militanten Islamisten zunehmend schwieriger wird, da sie immer weniger greifbar werden. „Der Druck der Terrorbekämpfung wird zu einer weiteren Dezentralisierung der militanten Islamisten führen, zu eklektischen Gruppen, Zellen und Einzelpersonen. Ein Hauptquartier wie in Afghanistan ist nicht mehr nötig“, heißt es dort. Schulung, Austausch und Geldspenden würden immer mehr virtuell über das Internet abgehandelt. Hätten die Terrorgruppen in der Vergangenheit einen staatlichen Sponsor benötigt, könnten sie nun ihre Ausbildung, ihre Logistik und ihre Finanzierung selbstständig organisieren.

Es ist gerade dieses Element der Dezentralität einer nicht kohärenten Bewegung, das Kritiker des weltweiten Krieges gegen den Terror auf den Plan ruft. Die wohl am weitesten gehende Kritik wurde letzten Monat in einer Dokumentationsserie der britischen BBC unter dem Titel „Die Kraft der Albträume“ formuliert. Das meiste, was über internationalen Terrorismus von Regierungen, Geheimdiensten und den Medien verbreitet wird, seien Fantasiegebilde und übertrieben, argumentiert die Serie und kontert sogar noch verwegener: „In einem Zeitalter, in dem große Ideen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, brauchen die Politiker die Macht der Angst vor einem Phantom, um an der Macht zu bleiben.“

Der Autor der Serie, Adam Curtis, analysierte in einem Interview mit dem Guardian, die Verletzlichkeit seiner eigenen Argumentation. „Wenn irgendwo eine Bombe hochgeht, werden alle sagen, dass ich widerlegt bin“, sagt er. Doch hätten, so verteidigt er sich, einzelne Anschläge nichts mit seiner Argumentation zu tun.

Als Hintergrund bietet er eine Statistik des britischen Innenministeriums an: Seit dem 11. September wurden in Großbritannien 664 Menschen unter Terroristenverdacht festgenommen, 17 wurden für schuldig erklärt, die meisten wegen ihrer Verbindungen zu militanten irisch-republikanischen Gruppen und militanten Sikhs. Kein einziger wegen seiner Verbindung zu al-Qaida.

Eine Terrorindustrie entsteht

Auch Jonathan Eyal, Direktor des britischen Militärforschungsinstituts „Royal United Services“, bezeichnet den Krieg gegen den Terror „unter rein militärischen Erwägungen als einen Krieg ohne Schlussfolgerungen, der mehr nach dem Zufallsprinzip geführt wird“. Und er geht noch einen Schritt weiter: „Es gibt eine lange Tradition, dass, wenn man einmal alle seine Ressourcen einer Bedrohung widmet, man diese Bedrohung auch übertreiben muss.“

Vorsichtiger argumentiert Gispin Black, der bis vor zwei Jahren für den britischen Geheimdienst Informationen analysierte. Seiner Meinung nach ist die terroristische Bedrohung, wie sie durch Politiker und die Medien beschrieben wird, „altmodisch und eindimensional. Es gibt eine Kluft zwischen dem Ehrgeiz der Terroristen und dem, was sie tatsächlich leisten können“, glaubt er.

BBC-Serien Autor Curtis glaubt eine ganze Terrorindustrie ausgemacht zu haben, die sich immer wieder selber füttern muss. „Niemand hinterfragt den Mythos al-Qaida, weil so viele ein Interesse haben, dass er am Leben bleibt“, meint er und beschreibt, wie sich Geheimdienste und Medien gegenseitig seit dem 11. 9. die Bälle zuspielen. Zum Beispiel dann, wenn erstere ein Briefing über Terror einberufen und Dinge verbreiten, die von Journalisten nicht nachgeprüft werden und die zu dramatischen Pressegeschichten werden, die weitere Briefings und daraus resultierend neue Geschichten hervorrufen. „Es gibt keine Tatsachenüberprüfung in Sachen al-Qaida“, bemängelt er.

„Alles, was es braucht, um die Geschichte am Leben zu halten, ist eine größere Bombe alle 18 Monate“, fasst ein skeptischer Beobachter des britischen Geheimdienstes die Lage zusammen, ohne seinen Namen zu nennen. Auch Bill Durodie, Direktor des „Internationalen Zentrums für Sicherheit“ am Kings College in London, beschwert sich über den allzu unkritischen Umgang mit der terroristischen Bedrohung. „Die Presse hat sich daran gewöhnt, ihre Furchtgeschichten zu schreiben, ohne sie zu überprüfen. Die Politiker haben sich daran gewöhnt, auf die Bedrohungen zu antworten, anstatt sie zu hinterfragen, und die Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, dass die Apokalypse um die Ecke lauert“, erklärt er.

In Riad will man es nicht darauf ankommen lassen, wie real die Bedrohung wirklich ist. Die Hotels der Teilnehmer wurden abgesperrt, um Autobomben zuvorzukommen. Die Teilnehmer müssen sich zu Fuß dem Eingang nähern und werden gleich mehreren Durchsuchungen unterzogen. Das Letzte, was die saudische Regierung für ihr Image brauchen kann, ist ein Terroranschlag saudischer militanter Islamisten auf ein Treffen von Experten, die zu ihrer Bekämpfung in der Höhle des Löwen angetreten sind.