Abenteuerreise Hartz

Eine Handvoll Befürworter und 250 Hartz-Gegner ziehen eine Bilanz der Arbeitsmarktreformen. Die Sorge eines Erwerbslosenberaters: „Alle haben weniger Geld und es ändert sich nichts“

aus Bremen Eiken Bruhn

„Die vier Stationen der Hartz-Reise“ hatte die Bremer Arbeitnehmerkammer ihre gestrige Tagung zur Bilanz der Arbeitsmarktreformen frei nach Heinrich Heine betitelt, doch „frisch und freudig“, wie dem Dichter zu Beginn seiner Reise, war gestern niemand zumute. Kein Abbau der Arbeitslosigkeit durch private Personalservice-Agenturen und Ich-AGs, eine Struktur, die Frauen wieder zu Zuverdienerinnen macht, sowie eine „sozialpolitische ‚Entleerung‘ der Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit“, wie es Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Koblenz, formulierte. Seine Kritik: In Zukunft liege es im Ermessen eines „Fallmanagers“, wie lange etwa ein Praktikum dauern darf oder ob ein Umzug zugemutet werden kann. „Der Arbeitssuchende kann keine Rechtsmittel dagegen einlegen – mit einem gleichberechtigten Verhältnis von Kunde und Anbieter hat das nichts zu tun.“

Kein gutes Haar ließen die Referenten und Teilnehmer der Diskussion an Hartz IV – der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum ersten Januar dieses Jahres. „Statt Lohnersatz gibt es nur noch Armenfürsorge, Löhne bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und eine Pflicht zu arbeiten“, sagte Johannes Steffen, Referent für Sozialpolitik bei der Bremer Arbeitnehmerkammer. „Grauenvoll“ findet er die Vorstellung, dass sich in Deutschland die Haltung noch weiter durchsetzt, dass Erwerbslose und Erwerbstätige dankbar zu sein haben für das, was sie kriegen, anstatt Ansprüche zu stellen. „Und mit den Ein-Euro-Jobs können sich auch die Mittellosen gegenüber der Allgemeinheit erkenntlich zeigen“, so das sarkastische Fazit Steffens.

Einen „experimentellen Charakter“ bescheinigte Martin Lühr, Berater bei der unabhängigen Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger (AGAB), der Umsetzung von Hartz IV. Eine Vielzahl der Betroffenen kämen in die Beratung, weil ihre Lebenssituation im Gesetz nicht vorgesehen ist und die Sachbearbeiter nicht weiter wüssten. „Die Bundesagentur für Arbeit gehört zu den Hartz-IV-Geschädigten“, sagte Lühr. Bevor die Fallmanager tatsächlich individuell auf die Bedürfnisse ihrer „Fälle“ reagieren könnten, müsste erst einmal „sehr viel geschult“ werden. „Die haben eine Behördenlaufbahn hinter sich und sind an Verwaltungsstrukturen gewöhnt – pädagogische Fähigkeiten gehören da nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen.“ Seine Hauptsorge: „Alle haben weniger Geld und es ändert sich nichts.“