Überwachungsskandal in Norwegen

INTERNET Der militärische Sicherheitsdienst soll in den E-Mails der Regierung und des Königshauses geschnüffelt haben. Die Behörde dementiert. Jetzt ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft

STOCKHOLM taz | Ein Überwachungsskandal mit noch unbekannten Ausmaßen wird derzeit in Norwegen aufgerollt. Der militärische Sicherheitsdienst FOST (Forsvarets sikkerhetstjeneste), der auch für die Internetsicherheit der Regierung beispielsweise durch Hackerangriffe zuständig war, soll diesen Auftrag für eine ungesetzliche Überwachung von Regierung und Ministerien missbraucht haben. Verteidigungsministerin Anne-Grete Strøm-Erichsen beauftragte die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen aufzunehmen.

Am Samstag berichtete die Presse von einem ersten Schuldeingeständnis: FOST habe in einem Brief an das Königshaus ein Herumschnüffeln im königlichen E-Mail-Verkehr zugestanden und sich dafür auch entschuldigt. Doch das Militär bestritt am Sonntag die Existenz eines solchen Briefs und behauptete, bei dem angeblichen Skandal handele es sich um einen „Sturm im Wasserglas“. Zu dieser Beschreibung passt allerdings gar nicht, dass es am vergangenen Mittwoch eine erste gerichtlich angeordnete Hausdurchsuchung in der FOST-Zentrale gab, der am Freitag eine siebenstündige Razzia im IT-Hauptquartier des norwegischen Militärs folgte. In beiden Fällen hatte das Gericht einen „hinreichenden Verdacht“ für einen Gesetzesverstoß seitens des Militärs gesehen.

Laut Medienberichten könnten von der Überwachung im Prinzip die Beschäftigten in allen Ministerien bis hin zu den Kabinettsmitgliedern der rot-grünen Regierung betroffen gewesen sein.

Die einzige Stellungnahme seitens des Militärs hierzu lautete bislang, dass man jedenfalls den Datenverkehr von Ministerpräsident Jens Stoltenberg selbst nicht habe überwachen können, da dieser einen Kryptierschlüssel besitze, zu dem nicht einmal FOST Zugang gehabt hätte. Neben dem E-Mail-Verkehr sollen auch aufgerufene Internetseiten registriert worden sein.

Der Geheimdienst hatte leichten Zugriff auf den Datenverkehr der Regierung. Dieser wird aus Sicherheitsgründen größtenteils über das militärische Netzwerk geleitet, das routinemäßig überwacht wird. Damit sollte die operative Internetsicherheit besser gewährleistet werden. Über die theoretischen Überwachungsmöglichkeiten, die damit ermöglicht wurden, war die Regierung offenbar nicht informiert worden.

Entsprechende gesetzliche Befugnisse, um Einblick in den Inhalt des Datenverkehrs zu nehmen, hatte FOST jedenfalls aber nicht. „Wir stehen vor einem gewaltigen Skandal“, erklärte Bjørn Jacobsen, verteidigungspolitischer Sprecher der zur Regierungskoalition gehörenden Sozialistischen Linkspartei gegenüber der Tagszeitung VG. Lars Sponheim, Vorsitzender der oppositionellen liberalen Venstre-Partei, spricht von einer „extremen militärischen Subkultur, die offenbar ganz außerhalb der demokratischen Grundprinzipien lebt“.

„Übereifrige“ Geheimdienste haben Tradition in Norwegen. Unter dem Vorwand des Schutzes der Sicherheit des Landes hatten sie in der Vergangenheit jahrzehntelang illegal Sozialisten, Kommunisten, aber auch Atomwaffengegner und Mitglieder von internationalen Solidaritätsgruppen überwacht.

REINHARD WOLFF