NPD-Vize wegen Volksverhetzung vor Gericht

Der stellvertretende Landesvorsitzende der NRW-NPD, Claus Cremer, steht wegen seiner Rede gegen den Synagogenbau vor dem Landgericht Bochum. Am ersten Prozesstag drehte sich alles um den jüdischen „Talmud“

BOCHUM taz ■ Mit trendigem Bart, gestylten Haaren und Ohrring zeigt Claus Cremer sich am ersten Prozesstag von seiner harmlosesten Seite. Seit gestern steht der stellvertretende nordrhein-westfälische NPD-Landesvorsitzende wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht Bochum. Er habe auf der Nazi-Demo gegen den Synagogenbau im Juni 2004 gegen das jüdische Volk gehetzt, lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft.

Als der Beweisfilm läuft, ist es still im Gerichtssaal, in dem sich auch 50 Zuschauer versammelt haben. „Wenn es antijüdisch ist, gegen Steuergelder für einen Synagogenbau zu sein und das beste für sein Volk zu wollen, jawoll, dann bin ich antijüdisch“, brüllt der studierte Sozialpädagoge, der 1998 während seines Zivildienstes in die NPD eintrat. Er liest eine Passage aus dem jüdischen Talmud – dem altjüdischen Gesetzbuch – vor, das angeblich Mädchen ab drei Jahren als geschlechtsreif ansieht. Dann ruft er: „Wenn in den Synagogen gelehrt wird, dass Mädchen ab drei Jahren zum Geschlechtsverkehr geeignet seien, will ich nicht, dass irgendwo eine Synagoge gebaut wird.“

„Das ist unglaublich“, ruft jemand aus dem Publikum, wobei nicht klar wird, ob er die Aussagen aus dem Talmud oder ihre Instrumentalisierung durch Cremer meint. Der Angeklagte sitzt mit erhobenem Kopf da, verzieht keine Miene. Er schaut auch nicht einmal zu seinen zehn bis fünfzehn Kameraden aus Wattenscheid, die sich auf den hintersten Zuschauerplätzen positioniert haben.

Auf die Frage des Richters, ob Cremer die Rede nicht nur gehalten sondern auch verfasst habe, will der 26-Jährige nicht antworten. Cremer befürchtet wohl, sich seine politische Zukunft zu verbauen: Noch steht er auf Platz drei der NPD-Landesliste für die Landtagswahl im Mai. Außerdem sitzt er seit Oktober für die Nationaldemokraten in der Bezirksvertretung Wattenscheid.

Sein Anwalt Klaus Kunze, bekannter Verteidiger der rechten Szene (siehe Profil, NRW-Seite 2), bringt zwei Beweisanträge ein, die den ganzen Prozessverlauf umwerfen: Er fordert die Richter auf, die besagten Passagen aus dem Talmud zu berücksichtigen und deshalb vorzulesen. Außerdem beantragt er, einen evangelischer Pfarrer und einen Psychotherapeuten einzuladen, die sich beide kritisch zum Talmud geäußert hätten.

Diese Personen wollte das Gericht zwar nicht einladen, wehrte aber die Beweisanträge nicht ab: So lasen drei Richter eine Stunde lang abwechselnd auf Deutsch und Englisch Passagen aus dem Talmud und kritische Stimmen dazu vor. Selbst die GesinnungsgenossInnen von Cremer rutschten unruhig auf ihren Plätzen herum, als zum zehnten Mal aus dem Talmud zitiert wurde, dass man erst bei einem Mädchen im Alter von drei Jahren von einer Entjungferung sprechen könne. Auch beide Staatsanwälte schauten genervt auf die vor ihnen liegenden Schriftstücke, sie hätten sich gerne direkt mit dem Kern ihrer Anklage befasst – Cremers Instrumentalisierung der Talmud-Passagen, um gegen die jüdische Bevölkerung und deren Wunsch nach einer Synagoge zu hetzen. Doch die Lesestunde ergab dann doch noch Sinn: Es kam dabei heraus, dass sich das altjüdische Gesetzbuch eigentlich mit der Bewertung der Strafbarkeit von Kindesmissbrauch befasst – und nicht mit der Straflosigkeit. Außerdem hatten auch der vom Cremer-Anwalt angeführte Pfarrer und der Psychotherapeut in ihren Interpretationen eingeräumt, dass die Juden – trotz Talmud – in ihrer Geschichte weniger Verbrechen begangen hatten als die Christen.

Am kommenden Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt. Dem NPD-Vize droht eine Strafe von bis zu fünf Jahren. Beim Rausgehen sieht der große Redenhalter nervös aus. Sein Anwalt macht gute Miene zum bösem Spiel – und wirft sich seinen bunten Fußball-Schal um.

NATALIE WIESMANN