Wieder kein Meisterstück

Die deutsche Fußballnationalmannschaft zeigt beim Freundschaftsspiel gegen die Auswahl Argentiniens alles, was sie kann, und muss sich mit einem 2:2-Unentschieden zufrieden geben

AUS DÜSSELDORF MATTI LIESKE

Es war ein gutes Spiel gegen einen guten Gegner, das seine Mannschaft geliefert hatte, und man durfte gespannt sein, in welche Galaxien der Jubelrhetorik es Jürgen Klinsmann diesmal verschlagen würde nach dem 2:2 gegen Argentinien. Schließlich hatte der Bundestrainer in den letzten Monaten eifrig ansprechende Darbietungen gegen Gegner von dezenterer Klasse in Sternstunden des Weltfußballs umgedeutet und durchwachsene Partien gegen Durchschnittsteams wenigstens in solche des deutschen Fußballs. Das Auditorium erlebte jedoch eine Überraschung, wenn nicht gar Enttäuschung: Jürgen Klinsmann klang fast wie Rudi Völler. Das Wörtchen „toll“ fiel nur zweimal, und dies erst, als der Vortrag schon eine ganze Weile andauerte, und der Begriff „Spaß“ kam erst ganz am Ende der Klinsmann’schen Einschätzung.

Die Genugtuung darüber, gegen einen der Großen dieser Welt lange Zeit das Spiel dominiert und fast gewonnen zu haben, war dennoch unverkennbar. „Wir sind sehr, sehr zufrieden über die Art und Weise, wie die Mannschaft gespielt hat“, ließ der Bundestrainer wissen, wobei das „wir“ nicht den Pluralis majestatis darstellte, sondern bloß den Trainer Joachim Löw einschließen sollte. „Sehr, sehr gut gelungen“ sei auch die Umsetzung der Devise: Agieren statt Reagieren. Was sich jedoch immer wieder in die Analyse mischte und deren Euphorie dämpfte, war der Ärger über die letzte Viertelstunde.

Klinsmann kann nicht gut verlieren, und das 2:2 nach langer Führung war fast wie eine Niederlage. Ein Sieg gegen Argentinien hätte nicht nur die lange Durststrecke mangelnden resultatsmäßigen Erfolgs gegen Spitzenteams beendet, sondern wäre eine Art Meisterbrief für den neuen Bundestrainer gewesen, wenn auch noch kein Weltmeisterbrief. Klinsmann weiß, dass den starken Worten in diesem Jahr starke Taten folgen müssen, um die Stimmung von Aufbruch und Überschwang bis ins WM-Jahr transportieren zu können. Ein Erfolg gegen das zuletzt hoch gelobte Team aus Südamerika hätte mit einem Schlag viele Probleme in dieser Hinsicht gelöst und dem Projekt Weltmeister 2006 den Stempel der Realisierbarkeit aufgedrückt.

Und dieser Erfolg wäre ohne weiteres möglich gewesen, wenn Kraft und Konzentration bis zum Schluss gereicht hätten und nicht nach 75 Minuten plötzlich versiegt wären. „Da haben wir ein bisschen Lehrgeld gezahlt“, grämte sich Klinsmann und bemängelte das, was er sonst eigentlich immer fordert: dass die Mannschaft bei 2:1-Führung in der zweiten Halbzeit weiter „Gas gegeben“ und mutig nach vorne gespielt hatte, anstatt die Kräfte zu schonen, „mal auf den Ball zu treten und das Spiel zu beruhigen“.

Hätte er ihnen vielleicht sagen sollen, die Frage ist jedoch, ob das gegen die Argentinier funktioniert hätte. Immerhin war es der große Druck, den die Deutschen bereits im Mittelfeld entwickelten, welcher sie im Zaum hielt, was auch José Pekerman zugab. „Sie haben in der ersten Halbzeit unsere Spieleröffnung verhindert“, sagte der Trainer der Argentinier. Auch Pekerman ist neu im Amt und hat mit seiner Taktik durchaus dazu beigetragen, dass den Deutschen lange das Mittelfeld gehörte. Sein Team hat wenig mit jenen Mannschaften des Vorgängers Marcelo Bielsa gemein, die bei der letzten Copa América und den Olympischen Spielen vor allem dadurch begeisterten, dass sie jeden Kontrahenten mit geballter Offensivmacht überrannten und in die Defensive drängten. In Argentinien tobt seit langem der Streit zwischen den Auffassungen zweier Weltmeistertrainer, und könnte man Bielsa der dem Spektakel zugewandten Menotti-Philosophie zurechnen, hält es Pekerman eher mit dem Sicherheitsfußball eines Bilardo. Pekerman pflegt einen konservativen Stil, spielt vorn nur mit zwei statt mit drei Leuten und beordert seine Abwehr weit zurück. Während Bielsa das Team mit Technikern und Künstlern anfüllte, setzt der Neue mehr auf Absolventen der traditionellen argentinischen Klopperschule wie Heinze oder Duscher. Die eigenen Angriffe werden mit gebührender Vorsicht vorgetragen und basieren auf den vereinzelten Geistesblitzen von großartigen Spielern wie Riquelme, Saviola oder dem zweifachen Torschützen Crespo.

Dem deutschen Team kam das entgegen. Immer sah man in den letzten Jahren gut aus gegen Top-Mannschaften, die sich zwar nicht gerade einmauern, aber auch nicht zu vehement Druck nach vorn entwickeln. Was die Zweikampfstärke betrifft, können die deutschen Spieler mit jedem mithalten, und Klinsmann hat inzwischen eine ganze Reihe sehr durchsetzungsfähiger Leute wie Owomoyela, Frings, Asamoah, Ernst, Kuranyi, am Mittwoch auch Schweinsteiger, im Team.

Zwar konnten die diagonalen Pässe von Riquelme in den Rücken der Abwehr auf Crespo und Saviola nicht gänzlich verhindert werden, wobei vor allem Hitzlsperger auf ungewohnter Position in der Abwehrkette oft deplatziert wirkte, insgesamt ließ die Mannschaft dem Gegner aber kaum Spielraum, was zwangsläufig zu eigenen Chancen führte. Erst als am Ende Kraft und Pressing wie von Zauberhand weggewischt schienen, kam zum Tragen, dass Argentinien die weit besseren Fußballer hat. Und es drängte sich der Eindruck auf, dass die Deutschen selbst ohne Ballack so ziemlich alles gezeigt hatten, was sie können, die Argentinier aber nicht.

„Als junger Spieler merkt man in einem solchen Spiel, dass man mithalten kann“, zog der alte Spieler und Kapitän Christian Wörns dennoch ein positives Fazit, und auch Jürgen Klinsmann wollte sich am Ende dann doch nicht lumpen lassen: „Die Art und Weise der Entwicklung der Mannschaft ist enorm positiv.“ Da war es wieder, das magische Wort, und ein anderes kam noch hinzu: Respekt. Man habe dieses Spiel in vielen Ländern im Fernsehen gezeigt, wusste der weltgewandte Bundestrainer, „und egal, wo Leute es angeschaut haben, es hat Respekt bei den anderen Nationen geweckt“.

Auch bei José Pekerman. Der sprach von einem „exzellenten Match zweier Teams mit hoher Qualität“. Es klang, als meinte er es ernst.

DEUTSCHLAND - ARGENTINIEN 2:2Deutschland: Lehmann - Owomoyela, Mertesacker, Wörns, Hitzlsperger - Frings, Ernst, Schweinsteiger (74. Schulz) - Schneider - Asamoah (29. Freier), KuranyiArgentinien: Abbondanzieri - Zanetti , Burdisso , Milito (46. M. Rodriguez), Heinze - Scaloni (46. Cambiasso), Duscher (77. Galetti), Sorin - Riquelme - Saviola, CrespoZuschauer: 52 000; Tore: 1:0 Frings (28./Foulelfmeter), 1:1 Crespo (40./Foulelfmeter), 2:1 Kuranyi (45.), 2:2 Crespo (81.)