Bratpfanne und Ofenblech

Pädagogisch wertvoll und öde: Matthias Kauls Kinderoper „Oliver Twist“ – sehr frei nach Charles Dickens – auf Kampnagel kommt professionell daher, bietet aber keinerlei Spannungsbögen

von Dagmar Penzlin

Was macht eine gute Kinderoper aus? Eine, die Kinder ernst nimmt und nicht mit Kindlichkeiten abspeist. Die Verantwortlichen der Hamburgischen Staatsoper fürchteten die Eideidei-Gefahrenzone, als sie für ihre neue „Opera piccola“-Produktion einen Kompositionsauftrag zu vergeben hatten. Auf den Musiker Matthias Kaul fiel die Wahl. Und der renommierte Percussionist machte sich daran, ein Stück Geräusch-Theater zu schreiben. Sehr frei nach Charles Dickens‘ Roman Oliver Twist. Vor allem aber mit viel Freiraum für die Kinder und Jugendlichen auf der Bühne und im Orchester.

Die Uraufführung auf Kampnagel in der Inszenierung von Alexa Lüddecke hinterließ allerdings einen zwiespältigen Eindruck. „Das Stück soll viele Freiheiten lassen; ich werde an vielen Stellen eine verlänger- oder verkürzbare Musik schreiben, so dass die Szenerie nicht zu sehr gegängelt wird. Die Kinder sollen nicht immer Takte zählen müssen, der Dirigent wird daher wie ein Verkehrspolizist den Ablauf regeln, er wird die ‚Weiter- und Stoppzeichen‘ geben, warten, bis ein Text, der frei über der Musik liegt, fertig gesungen ist.“

Im Programmheft beschreibt Matthias Kaul die Gedanken, die ihn bei der Arbeit an Oliver Twist geleitet haben. Er weiß, warum das Prinzip Freiheit so wichtig ist. Seit Jahren unterrichtet der Neue-Musik-Spezialist Kinder im Komponieren. Kaul erlebt ständig, wie kreativ und offen Heranwachsende mit Klängen und Instrumenten umgehen. Aus Dickens‘ Klassiker hat Kaul eine Geräusch-Oper entwickelt, die durchsetzt ist mit musikhistorischen Einsprengseln – da weht ein Bach-Choral herein, dort sorgt Schuberts Heidenröslein für bürgerliche Beschaulichkeit. Doch die Geräusch-Passagen dominieren. Mit den jungen Interpreten ist Kaul auch auf einem Schrottplatz herumgekraucht, um geeignete „Schlaginstrumente“ zu ergattern. Zum Orchester gehören jetzt eine alte Bratpfanne, eine Gießkanne, Ofenbleche. Und Pappkartons. Auf ihnen können die Streicher mit ihren Bögen schön stumpfes Scharren produzieren.

So weit, so kreativ und musiktheater-pädagogisch wertvoll. Trotzdem – als Zuschauer steuert man vor allem ein Geräusch zu dem Ereignis bei: unruhiges Hin- und Herschubbern auf dem Stuhl. Denn was da auf einer der Kampnagel-Bühnen zu hören und zu sehen ist, weiß wenig zu fesseln. Auch wenn die mitwirkenden Kinder voll dabei sind und beeindrucken durch professionell anmutendes Niveau, von Dirigent Boris Schäfer locker durch die Partitur gelotst.

Was aber fehlt, das ist ein roter Faden. Oder zumindest Spannungsbögen. Die Geschichte von Oliver Twist wird nur in Ansätzen erzählt. Zwar gibt es einen Leser, der sich am Bühnenrand durch Dickens‘ Wälzer zappt, hier und da eine Passage vorliest. Doch im Grunde wirft die Oper nur dürftige Schlaglichter auf die Geschichte des Waisenjungen, der im Viktorianischen England des 19. Jahrhunderts mit allerlei Hartherzigkeit und krimineller Energie konfrontiert ist. Und schon als Erwachsener, der den Romaninhalt kennt, muss man sich sehr konzentrieren, um dem Geschehen zu folgen. Wie wird es erst Kindern damit gehen?

Kauls Oliver Twist verweigert sich schließlich auch dem Happy End des Originals – der Waisenjunge findet kein neues Zuhause. Am Ende wirft der Leser das Buch weg, Dickens‘ Klassiker liegt auf dem Boden im grellen Rampenlicht – leicht geöffnet, die Seiten eingeknickt. Und das Schlussbild bekommt unfreiwillig Symbolkraft: Ein misshandelter Roman verweigert sich.

Weitere Vorstellungen: 13. 2., 12 Uhr; 19. + 26.2., 14.30 Uhr; 20. + 27.2., 16 Uhr; 18., 19., 25. + 26.2., 18 Uhr, Kampnagel