Wohlstand für alle?

betr.: „Grundsätzlich sind offene Märkte für Dienstleistungen richtig. Gute Idee, falsche Vorschrift“ von Ruth Reichstein, taz vom 5. 2. 05

Schon die Überschrift lässt erkennen, dass die Autorin des Beitrages den Dogmen der neoliberalen Wirtschaftsreform huldigt. Eines der Topdogmen lautet nämlich: „Free Trade ohne jegliche Handelshemmnisse schafft Wohlstand für alle.“ Diese Aussage gilt, wenn man unter „alle“ nur die drei bis fünf Prozent einer Bevölkerung, die 80 bis 90 Prozent des mobilen Vermögens eines Landes besitzen, die Spitzenmanager in international agierenden Firmen, Banken und Versicherungen versteht. Verlierer kennt das Dogma nicht.

Und damit der Zustand so bleibt, wie er ist, sollen auch innerhalb der Europäischen Union alle Handelshemmnisse beseitigt werden. So fordern es die Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO), die 1995 von allen EU-Mitgliedsstaaten (auch Deutschland) als verbindlich anerkannt wurden. Der Brüsseler Kommissar Bolkestein will jetzt die damals ebenfalls akzeptierten Richtlinien für den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement in Trade with Services = Gats), ein Unterprogramm der WTO, im Hinblick auf „Wohlstand für alle“ in EU-Recht umsetzen. Dafür ist er da.

Nach 6,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland, die trotz der oder durch die mit den WTO-Richtlinien im Einklang stehenden „Reformen“ der derzeitigen Bundesregierung entstanden sind, scheint jetzt Bundeskanzler Schröder ein Licht aufgegangen zu sein. Auf Seite 8 derselben taz steht: „Bundeskanzler fordert erstmals, die EU-Dienstleistungsrichtlinie müsse geändert werden.“ Welche Änderungen, zu wessen Gunsten muss geändert werden? Das fehlt.

RICHARD UHRIG, München

Es ist mitnichten ausreichend, „gewisse Sozial- und Qualitätsstandards“ zu sichern, wie Frau Reichstein konstatiert. Dass Umwelt- wie auch Produktstandards in erheblichem Maße ebenfalls von der Richtlinie betroffen sein würden, scheint ihr entgangen zu sein.

Ich befürchte, dass Umwelt- und Verbraucherverbände sowie Gewerkschaften erst langsam zu realisieren beginnen, welche verheerenden Folgen das Herkunftslandprinzip dieses Richtlinienentwurfs für den Erhalt aber auch für die Fortentwicklung von Sozial-, Umwelt-, Produkt- und Qualitätsstandards haben würde. Was wird es bei einer Realisierung des vorliegenden Richtlinienentwurfs noch nützen, wenn Mitgliedsstaaten national auch nach EG- und WTO-Recht ein höheres Schutz- und Vorsorgeniveau realisieren dürfen, wenn zukünftig nur noch die einheimischen Dienstleister (einschließlich der von ihnen eingesetzten Produkte) an diese Standards gebunden wären, die ausländischen hingegen nicht. Dienstleistungsfreiheit setzt für mich voraus, dass alle die vor Ort geltenden Standards einzuhalten haben! Manche (leider viel zu wenige) EG-Regelungen setzen auf eine unterschiedlich rasche Entwicklung von Schutzniveaus in den Mitgliedsstaaten mit der Perspektive, dass durch Vorreiter eine europäische Harmonisierung von Standards auf immer höherem Niveau ermöglicht wird. Der Entwurf der EG-Dienstleistungsrichtlinie würde solchen Konzepten sowie dem Bemühen um eine Orientierung an dem Leitbild Nachhaltigkeit ein endgültiges Ende bereiten – mit verheerenden Folgen für uns alle.

DIETER COHORS-FRESENBORG, Münster