Im Unentschiedenen verblieben

Qual und Lust der Entscheidungen: Nico & the Navigators waren mit „Kain, Wenn und Aber“ zu Gast auf Kampnagel

Manchmal sind schnelle Entscheidungen gefordert. Zum Beispiel als Pilotin. Die Bodenstation meldet plötzlich ein Flugzeug auf Kollisionskurs. Aber wohin ausweichen? Nach oben oder unten? Sinken oder steigen? Der Fluglotse schweigt. Und während man sich im Publikum noch fragt, woher einem dieser Plot bekannt vorkommt, reißt die Pilotin schon entsetzt die Augen auf und wirft schützend die Arme vor den Kopf.

Eine der schönsten Szenen aus Kain, Wenn & Aber, mit dem das siebenköpfige Berliner Ensemble Nico & the Navigators seit 2003 durch internationale Festivals und deutsche Theatersäle tourt und jetzt auf Kampnagel Station machte. Auch der Kommentar, der auf den imaginären Crash folgt, hat es in sich: „In Gefahr und größter Not einen ruhigen Moment abwarten.“ Leider bleiben solche pointierten Miniszenen die Ausnahme. Das von Nicola Hümpel konzipierte und inszenierte Stück, in dem alles um Qual und Lust der Entscheidungen kreist, bleibt selbst im Unentschiedenen: Zwischen Elementen aus Slapstick und Bewegungstheater, Tanz und Show hüpfen die drei Frauen und vier Männer von einer Anekdote und Episode zur anderen, von einem Zitat und einer kleinen Szene zur nächsten – ohne erkennbaren Zusammenhang oder dramatische Zuspitzung.

Da klebt einer wie Kaugummi am Körper einer anderen, die ihn angewidert versucht loszuwerden. Danach wird kurz reflektiert, warum sie ihn verlassen hat. Ein anderer entscheidet sich dafür, seinen nackten Arsch zu zeigen. Und noch eine quält sich mit der Frage, welches Paar Schuhe sie anziehen soll – bis sie mit einem hochhackigen und einem flachen Schuh stolz und sicher herumläuft. Ja, bewegen können sich alle Darsteller zweifellos, auch ihre Mimik ist ausdrucksstark, man könnte auch sagen: Sie spricht Bände.

Fragt sich bloß, worüber. Das Thema mussten sich die Darsteller wohl selbst immer wieder vergegenwärtigen, denn ein paar Mal wird der entscheidende Satz wiederholt: „Die erste Entscheidung heißt, zu mir selbst – mutig – allein.“ Dann stellen sich alle gegenseitig Fragen. Etwa: “Annedore?“ – „Ja?“ – „Bist du zufrieden?“ – „Ja.“ Oder: „Sinta?“ – „Ja?“ – „Hast du große Pläne?“ – „Ja.“ Immerhin lassen sich so en passant die Vornamen der Schauspieler erfahren. Dann wird noch auf einem der variablen Bühnenmodule, die an Bauklötzchen erinnern, Wippe gespielt. Auf und ab, ja und nein, kann man dazu assoziieren, wenn man will. Inzwischen entscheiden sich einige Zuschauer lieber dafür, vorzeitig zu gehen. Und irgendwann geht dann auch das Licht aus. Es hätte ewig so weitergehen können. Nein, lieber nicht.

Karin Liebe